Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Kostenübernahme einer In-vitro-Fertilisationsbehandlung

 

Orientierungssatz

In der gesetzlichen Krankenversicherung begründet nicht die Krankheit des versicherten Ehepartners, sondern die Sterilität des Paares den Anspruch auf Maßnahmen der künstlichen Befruchtung. Daraus folgt, dass bei ungewollter Kinderlosigkeit grundsätzlich jeder Ehegatte gegen seine Krankenkasse einen Anspruch auf alle zur Herbeiführung einer Schwangerschaft notwendigen Maßnahmen hat und nur die in § 27a Abs 3 SGB 5 genannten "Nebenleistungen" bei dem anderen Ehegatten hiervon ausgenommen sind (vgl BSG vom 3.4.2001 - B 1 KR 22/00 R = BSGE 88, 51 = SozR 3-2500 § 27a Nr 2).

 

Tenor

Die Beklagte wird unter Aufhebung der Bescheide vom 01.10.2002 und 23.10.2002, beide in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.02.2003 verurteilt, der Klägerin die Kosten für den ersten Zyklus einer In-vitro-Fertilisationsbehandlung in Höhe von 4.269,21 EUR zu erstatten sowie künftige Zyklen einer medizinisch indizierten In-vitro-Fertilisationsbehandlung zur Verfügung zu stellen.

Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt Erstattung und Übernahme von Kosten für eine In-vitro-Fertilisationsbehandlung.

Die Klägerin ist Mitglied der Beklagten, ihr Ehemann ist privat krankenversichert. Bei dem Ehepaar besteht ein unerfüllter Kinderwunsch. Der Ehemann der Klägerin leidet an einer ausgeprägten Subfertilität. Dagegen ist der gynäkologische Befund der Klägerin im Wesentlichen unauffällig. Auf diesem Hintergrund wurde die Indikation für eine In-vitro-Fertilisation (IVF) mit intracitoplasmatischer Spermieninjektion (ICSI) gestellt. Eine ärztliche Beratung über die medizinischen, psychischen und sozialen Aspekte der künstlichen Befruchtung hat stattgefunden.

Unter dem 17.09.2002 erklärte sich die private Krankenversicherung des Ehemannes der Klägerin bereit, die Kosten für bis zu drei Versuche einer Behandlung mit intracitoplasmatischen Spermieninjektionen (ICSI-Behandlung) in tariflichem Umfang zu erstatten. Die für die Ehefrau entstehenden Kosten für eine In-vitro-Fertilisationsbehandlung (IVF-Behandlung) könnten nicht übernommen werden. Diesbezüglich solle man sich an die Krankenversicherung der Ehefrau wenden.

Am 30.09.2002 stellte die Klägerin einen entsprechenden Antrag bei der Beklagten, der mit Bescheid vom 01.10.2002 abgelehnt wurde, weil in Fällen, in denen die Sterilität beim Ehemann liegt, dieser privat versichert ist und sich gegen das Risiko der ungewollten Kinderlosigkeit versichert hat, seine Versicherung die Gesamtkosten für eine künstliche Befruchtung nach der IVF/ICSI-Methode zu übernehmen habe.

Mit Bescheid vom 23.10.2002 bestätigte die Beklagte ihre Rechtsauffassung. Der Widerspruch der Klägerin wurde mit Widerspruchsbescheid vom 12.02.2003 zurückgewiesen.

Hiergegen richtet sich die am 26.02.2003 erhobene Klage, mit der die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt. Sie ist der Ansicht, dass der Gesetzgeber mit der Indikation zur künstlichen Befruchtung einen eigenständigen Versicherungsfall schaffen wollte, der unabhängig davon bestehe, wer krank im Sinne des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) sei.

Zwischenzeitlich hat ein erster Behandlungszyklus nach der IVF/ICSI-Methode stattgefunden, für den der Klägerin Kosten in Höhe von 4.269,21 EUR entstanden sind.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 01.10.2002 und 23.10.2002, beide in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.02.2003 zu verurteilen, ihr die Kosten für den ersten Zyklus einer In-vitro-Fertilisationsbehandlung in Höhe von 4.269,21 EUR zu erstatten sowie künftigen Zyklen einer medizinisch indizierten In-vitro-Fertilisationsbehandlung zur Verfügung zu stellen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hält die angegriffenen Bescheide für rechtmäßig.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Tatbestandes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten sowie auf die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die vorgelegen hat und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet.

Die Bescheide vom 01.10.2002 und 23.10.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.02.2003 sind rechtswidrig und beschweren die Klägerin im Sinne des § 54 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Die Klägerin hat Anspruch darauf, künftige Zyklen einer medizinisch indizierten IVF-Behandlung zur Verfügung gestellt zu bekommen.

Unter den näheren Voraussetzungen des § 27 a Abs. 1 SGB V umfassen die Leistungen der Krankenbehandlung auch medizinische Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft.

Die Voraussetzungen des § 27 a Abs. 1 SGB V sind erfüllt. Dies ist auch zwischen den Beteiligten unstreitig und bedarf insoweit keiner weiteren Ausführungen.

Entgegen der Auffassung der Beklagten bedingt der Umstand, dass die Sterilität beim Ehemann der Klägerin liegt, dieser privat versichert ist und sich gegen das Risiko der ungewollten Kinde...

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