Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Arzneimittelversorgung. Off-Label-Use. begründete Aussicht auf Behandlungserfolg. Erfordernis einer zum Behandlungszeitpunkt abgeschlossenen, veröffentlichten Studie der Phase III. grundrechtsorientierte Leistungsgewährung. kein Anspruch auf Fertigarzneimittel ohne Genehmigung im (europäischen) Zulassungsverfahren. Erstellung eines ablehnenden Gutachtens genügt. hier: Avastin bei rezidivierendem Glioblastom. - siehe dazu anhängiges Verfahren beim BSG: B 1 KR 36/17 R

 

Orientierungssatz

1. Liegt zum Zeitpunkt der Behandlung keine abgeschlossene, veröffentlichte Studie in der Qualität einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III mit Relevanz für die Erkrankung des Versicherten vor, so fehlt es an der für einen Off-Label-Use begründeten Aussicht auf den Behandlungserfolg (vgl BSG vom 13.12.2016 - B 1 KR 10/16 R = SozR 4-2500 § 2 Nr 6, RdNr 17).

2. Die grundrechtsorientierte Leistungsgewährung begründet keinen Anspruch auf Fertigarzneimittel für eine Indikation, für die eine Genehmigung in einem Zulassungsverfahren nach VO (EG) Nr 726/2004 (juris: EGV 726/2004) abzulehnen war. Dazu genügt es, dass der Ständige Ausschuss für Humanarzneimittel - wie hier bei Avastin für die Indikation des rezidivierenden Glioblastoms - ein im Ergebnis ablehnendes Gutachten erstellte, ohne dass der Antragsteller des Verfahren weiterverfolgt (Anschluss an BSG vom 13.12.2016 - B 1 KR 10/16 R = SozR 4-2500 § 2 Nr 6, RdNr 18).

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 11.09.2018; Aktenzeichen B 1 KR 36/17 R)

 

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

III. Der Streitwert wird auf 3.637,71 € festgesetzt.

IV. Die Sprungrevision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Vergütung einer tagesklinischen Krankenhausbehandlung im Jahr 2014; insbesondere darüber, ob die Beklagte die Kosten für die Behandlung ihres Versicherten mit Avastin (Bevacizumab ) zu tragen hat.

Die Klägerin ist Trägerin eines zugelassenen Krankenhauses, in dem der bei der Beklagten Versicherte H. K., geb. 1955, am 17.04.2014 tagesklinisch behandelt wurde. Die Aufnahme erfolgte zur Gabe von Avastin bei einem Rezidiv eines Glioblastoma multiforme .

Für den stationären Aufenthalt rechnete die Klägerin das Zusatzentgelt ZE74.08 (Gabe von Bevacizumab , parenteral) durch Rechnung vom 16.05.2014 ab. Die Beklagte zahlte zunächst den vollen Rechnungsbetrag.

Die Beklagte leitete eine Prüfung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) ein, der in seiner sozialmedizinischen Stellungnahme vom 02.03.2015 eine Kostenübernahme für Avastin nicht empfehlen konnte. Es handele sich um ein Arzneimittel, dass nicht für die Behandlung von Glioblastomen zugelassen sei und der Hersteller R. habe bei der EMA einen Antrag auf Erweiterung der Zulassung gestellt, welcher durch die Fachkommission (CHMP) der EMA mit einem Negativvotum beschieden worden sei. Das Verhältnis von Nutzen und Risiko sei derzeit nicht positiv zu bewerten. Hierzu würden sich auch aus der veröffentlichen AVAGLIO-Studie keine anderen Anhaltspunkte ergeben. Angesichts der erhöhten Toxizität auch in der AVAGLIO-Studie und fehlender neuer Wirksamkeitsdaten aus randomisierten kontrollierten Studien für die Rezidivsituation werde aus medizinischer Sicht der von der EMA festgestellte fehlende Benefit einer Therapie mit Avastin in der Rezidivsituation im Sinne des Überwiegens des Nutzens gegenüber den Risiken durch die AVAGLIO-Studie nicht widerlegt.

Die Beklagte teilte der Klägerin das Begutachtungsergebnis mit und forderte die Rückzahlung des Differenzbetrages, der sich in Anwendung der unterschiedlichen Meinungen bei der Abrechnung ergab. Mangels Zahlung verrechnete die Beklagte die Forderung mit einem anderen Behandlungsfall.

Am 31.08.2015 hat die Klägerin vor dem Sozialgericht Chemnitz Zahlungsklage hinsichtlich der o.g. Forderung in Höhe von 3.637,71 € erhoben. Bei dem Patienten sei im September 2013 okzipital links die Exstirpation erfolgt, wobei sich im Anschluss im Oktober 2013 schon der Verdacht auf einen Frühprogress gezeigt und man bis 12/2013 eine adjuvante Radiochemotherapie mit Temodal angeschlossen habe. Aufgrund des Frühprogresses sei im Februar 2014 eine erneute Tumorteilresektion erfolgt. Es habe sich nun keine Methylierung des Tumors mehr befunden und somit habe ein eher ungünstiges Ansprechen auf eine alkylantienhaltige Therapie vorgelegen. Nach ausführlicher Diskussion im Rahmen eines neuroonkologischen Tumorboardes sei eine adjuvante Chemotherapie mit Bevazicumab (Avastin )/Irinotecan geplant gewesen. Eine erneute Strahlentherapie sei aufgrund des kurzen zeitlichen Abstandes zur vorherigen Bestrahlung nicht möglich gewesen. Bei dem Patienten sei schon unter der Gabe von Temozolomid eine schwere Thrombozytopenie aufgetreten, die zum Therapieabbruch geführt habe, sodass sich ein Therapie-Versuch mit CCNU verboten habe, da es den Patienten bei absehbarer schweren Myelosuppression vital gefährden würde. ...

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