Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss für erwerbsfähige Unionsbürger bei Aufenthalt zur Arbeitsuche. Europarechtskonformität. Europäisches Fürsorgeabkommen

 

Orientierungssatz

1. Zwar stehen Vorschriften des europäischen Primär- und Sekundärrechts einer Anwendung des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB 2 nicht entgegen.

2. Ein solcher Leistungsausschluss gilt jedoch nicht für Staatsangehörige eines Vertragsstaates des EuFürsAbk.

 

Tenor

Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger unter Abänderung des Ablehnungsbescheides vom 06.12.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.03.2008 (W ….) in der Fassung des Darlehensbescheides vom 07.04.2008 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit vom 02.11.2007 bis einschließlich 30.11.2007 in Höhe von 664,10 Euro und für die Zeit vom 01.12.2007 bis einschließlich 30.04.2008 in Höhe von 687,00 Euro monatlich als verlorenen Zuschuss zu gewähren.

Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II) dem Grunde nach für die Zeit vom 02.11.2007 bis einschließlich 30.04.2008.

Der 1959 geborene Kläger ist italienischer Staatsangehöriger und Vater einer am 18.11.2000 geborenen Tochter, die die italienische und die US-amerikanische Staatsangehörigkeit besitzt und die sich jedenfalls seit August 2007 zu zeitlich etwa gleichen Teilen im Haushalt der Kindesmutter und im Haushalt des Klägers aufhält.

Der Kläger beantragte am 04.10.1985 erstmals eine Aufenthaltserlaubnis für die Bundesrepublik Deutschland. Zwischen Dezember 1985 und Oktober 1988 war er mehrfach für kurze Zeiträume sozialversicherungspflichtig beschäftigt, von Februar 1989 bis Juni 1990 war der Kläger mit einer Unterbrechung arbeitslos gemeldet. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den den Kläger betreffenden Versicherungsverlauf der Deutschen Rentenversicherung Berlin-Brandenburg vom 12.11.2009 (Bl. 71 d.A.) Bezug genommen. In den Jahren 1987, 1990, 1992, 1998 und 2000 kam es zu insgesamt fünf strafrechtlichen Verurteilungen des Klägers durch das Amtsgericht T in B bzw. das Amtsgericht R .

Auf dessen Erklärung vom 18.06.2005, freizügigkeitsberechtigt zu sein, hin erteilte das Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten Berlin - Ausländerbehörde - dem Kläger am 21.06.2005 eine Bescheinigung über das gemeinschaftsrechtliche Aufenthaltsrecht gemäß § 5 des Freizügigkeitsgesetzes/EU (FreizügG/EU).

Bis zum 30.09.2007 wohnte der Kläger zunächst in B-. und erhielt Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II vom JobCenter Berlin Friedrichshain-Kreuzberg. Am 13.09.2007 erteilte das JobCenter Friedrichshain-Kreuzberg dem Kläger eine Zusicherung zu den Aufwendungen für eine neue Unterkunft in der O..str. ..in B.. (Verwaltungsakte Bl. 20), die der Kläger sodann am 18.09.2007 anmietete (Verwaltungsakte Bl. 21) und am 01.10.2007 bezog (Verwaltungsakte Bl. 11). Für die vorgenannte, 54,84 m² große Zwei-Raum-Wohnung in der O..str. ..hatte der Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum monatliche Aufwendungen - ohne Aufwendungen für die Gasversorgung für die Kochstelle des Klägers - von 340,00 Euro (davon 263,00 Euro Kaltmiete und 77,00 Euro Betriebskostenvorauszahlungen, Verwaltungsakte Bl. 21) zu zahlen. Die Warmwasseraufbereitung in der Wohnung erfolgt mittels eines elektrisch betriebenen Warmwasserboilers. Für die Heizung und zum Kochen wird Gas verwendet (Verwaltungsakte Bl. 19).

Nachdem das JobCenter Friedrichshain-Kreuzberg seine Entscheidung über die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II wegen des umzugsbedingten Zuständigkeitswechsels mit Bescheid vom 20.09.2007 zum 01.11.2007 aufgehoben hatte (Verwaltungsakte Bl. 15), beantragte der Kläger am 02.11.2007 bei dem Beklagten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Diesen Antrag lehnte der Beklagte durch Bescheid vom 06.12.2007 (Verwaltungsakte Bl. 76) mit der Begründung ab, die gesetzlichen Voraussetzungen für Leistungsansprüche nach dem SGB II lägen bei dem Kläger nicht vor, da sich dessen Aufenthaltsrecht nur zur Arbeitssuche ergebe, was einen Anspruch auf Leistungen ausschließe.

Den gegen Ablehnungsbescheid vom 06.12.2007 gerichteten Widerspruch des Klägers vom 18.12.2007 wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 17.03.2008 (W …/08) als unbegründet zurück. Rechtsgrundlage der Ablehnungsentscheidung sei § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II. Der Kläger habe in seinem Antrag auf Erteilung einer Freizügigkeitsbescheinigung angegeben, dass er sich in der Bundesrepublik Deutschland zum Zweck der Arbeitssuche aufhalte. Da sich das Aufenthaltsrecht des Klägers allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergebe, habe dieser gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Der Beklagte gehe davon aus, dass § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II mit Gemeinschaftsr...

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