Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitslosenversicherung. Beitragserstattung. Beitragsberechnung. Aussteuerungsbetrag. Verfassungsmäßigkeit. Klagebefugnis hinsichtlich der Verwendung von Beitragsmitteln

 

Orientierungssatz

1. Versicherte haben aus dem Mitgliedschaftsverhältnis keine Klagebefugnis hinsichtlich der Unterlassung einer bestimmten Verwendung von Beitragsmitteln, soweit nicht über die Beitragspflicht hinaus in ihre Grundrechte eingegriffen wird. Der verfassungsrechtlich gebotene Rechtsschutz gegen eine ungerechtfertigte Belastung mit Beiträgen kann nur dadurch gewahrt werden, dass der Versicherte anhand eines konkreten Beitragsbescheids inzident die als verfassungswidrig angesehenen Bestimmungen überprüfen lassen kann (vgl ua BSG vom 01.07.1992 - 14a/6 RKa 1/90 = BSGE 71, 42 = SozR 3-2500 § 87 Nr 4).

2. Der in § 46 Abs 4 SGB 2 idF vom 30.7.2004 geregelte Aussteuerungsbetrag verstößt nicht gegen Verfassungsrecht.

3. Für die Klage, mit der ein Beitragszahler begehrt, festzustellen, dass die Bundesagentur für Arbeit den Aussteuerungsbetrag nach § 46 Abs 4 SGB 2 idF vom 30.7.2004 dem Bund nicht mehr erstatten darf, ist kein Rechtsschutzbedürfnis mehr ersichtlich, da der Gesetzgeber zum 1.1.2008 den Aussteuerungsbetrag durch den sogenannten Eingliederungsbeitrag (§ 46 Abs 4 SGB 2 idF vom 22.12.2007) ersetzt hat und somit keine Feststellung für die Zukunft mehr begehrt werden kann.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 29.02.2012; Aktenzeichen B 12 KR 5/10 R)

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

 

Tatbestand

Der Kläger, der bei der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (Beigeladene zu 2)) angestellt und bei der Bundesagentur für Arbeit (im folgenden BA), vertreten durch die Agentur für Arbeit Berlin Mitte (Beigeladene zu 1), pflichtversichert in der Arbeitslosenversicherung ist, begehrt von der beklagten Einzugsstelle die Erstattung der seiner Ansicht nach überhöhten Beiträge zur Arbeitslosenversicherung aufgrund des sog. “Aussteuerungsbetrags„ nach § 46 Abs. 4 SGB II (in der Fassung des Gesetzes zur optionalen Trägerschaft von Kommunen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Kommunales Optionsgesetz - vom 30. Juli 2004, im folgenden a. F.).

Am 03.07.2006 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Festsetzung der Höhe des Beitrags zur Arbeitslosenversicherung auf monatlich 128,70 €. Er begründete den Antrag damit, dass der Beitrag überhöht sei, da der Gesetzgeber verfassungswidrig von der BA einen sog. Aussteuerungsbetrag gemäß § 46 Abs. 4 SGB II verlange. Mit Bescheid vom 06.07.2006 wies die Beklagte diesen Antrag zurück, wogegen der Kläger Widerspruch einlegte.

Mit Schreiben vom 25.07.2006 beantragte der Kläger sodann die Erstattung der seiner Ansicht nach zu Unrecht entrichteten Beiträge zur Arbeitslosenversicherung für das Jahr 2005 in Höhe von 166,36 €, da dies der Betrag sei, in dessen Umfang der Beitrag überhöht sei. Auch diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 27.09.2006 ab, wogegen der Kläger ebenfalls Widerspruch einlegte.

Mit Widerspruchsbescheid vom 24.10.2006 wies die Beklagte beide Widersprüche als unbegründet zurück, da sie die Bescheide für rechtmäßig hielt. Die nach § 25 Abs. 1 SGB III versicherungspflichtig beschäftigten Arbeitnehmer haben grundsätzlich die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung nach § 348 SGB III über die Einzugsstelle zu zahlen. Die Höhe der Beiträge ergebe sich aus dem vom Gesetz in § 341 Abs. 2 SGB III festgelegten Beitragssatz. Entsprechend diesen Regelungen habe die Beklagte die Beiträge vom Arbeitsentgelt abgezogen. Sie sei als Körperschaft des öffentlichen Rechts gemäß § 31 SGB I an den Vorbehalt des Gesetzes gebunden und habe eine eventuelle Verfassungswidrigkeit nicht zu prüfen.

Mit seiner Klage vom 24.11.2006 verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er ist der Ansicht, dass der sog. Aussteuerungsbetrag nach § 46 Abs. 4 SGB II (a. F.) verfassungswidrig sei und ihm ein Anspruch auf Erstattung von Arbeitslosenversicherungsbeiträgen gemäß §§ 351 Abs. 1 SGB III, 26 Abs. 2 SGB IV für das Jahr 2005 zustehe. Für die Entrichtung der zuviel gezahlten Beiträge sei keine Rechtsgrundlage vorhanden gewesen, da sie verfassungswidrig zur Finanzierung des Aussteuerungsbetrages erhoben worden seien.

Zum ersten fehle es dem Bund an der Gesetzgebungskompetenz nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG. Danach könne der Bund Regelungen im Bereich der Sozialversicherung erlassen. Kennzeichnend für die Sozialversicherung sei u. a., dass ihre Träger ihre Mittel durch Beiträge der “Beteiligten„ aufbrächten. Diese Beiträge unterlägen einer strengen Zweckbindung und dienen nicht der Befriedigung des allgemeinen Finanzbedarfs. Der Aussteuerungsbetrag komme aber nicht nur den Arbeitslosen, die die Beiträge entrichtet haben, zu gute, sondern davon werde u. a. das Arbeitslosengeld II (ALG II) finanziert, das jeder, der die Voraussetzungen erfüllt, erhalte, egal, ob er vorher Arbeitslosengeld (ALG)  bezogen habe oder nicht. Der Aussteuerungsb...

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