Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss für Ausländer bei Aufenthalt zur Arbeitsuche. Unionsbürger. Europarechtskonformität. Verfassungsmäßigkeit. kein Sozialhilfeanspruch

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der Leistungsausschluss aus § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB 2 verstößt jedenfalls mit Blick auf Unionsbürger mit einem Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche nicht gegen höherrangiges Recht.

2. Bei Unionsbürgern mit bestehendem Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche, die nach § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB 2 von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB 2 ausgeschlossen sind, kommt wegen § 21 S 1 SGB 12 auch kein Anspruch auf Sozialhilfeleistungen für den Lebensunterhalt in Betracht.

3. Die von dem Bundessozialgericht zu Leistungsausschlusstatbeständen aus § 7 Abs 4 S 1 SGB 2 vertretene, einschränkende Auslegung von § 21 S 1 SGB 12 ist nicht auf den Leistungsausschluss aus § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB 2 übertragbar.

4. Die Leistungssysteme des SGB 2 und des SGB 12 stehen hinsichtlich ihrer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nicht in einem Vorrang-Nachrang-Verhältnis zueinander, auch kommt dem Leistungssystem des SGB 12 keine Auffangfunktion gegenüber jenem des SGB 2 zu.

 

Tenor

Der Beklagte wird unter Abänderung seines Ablehnungsbescheides vom 13.05.2013 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 19.06.2013 (W-…) verurteilt, der Klägerin für den Monat Oktober 2013 Arbeitslosengeld II nach dem SGB II in Höhe von 830,00 Euro unter Anrechnung der bereits für diesen Monat erbrachten Leistungen nach dem SGB II zu gewähren.

Im Übrigen werden die Klagen abgewiesen.

Der Beklagte hat ein Sechstel der notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten nunmehr noch um Leistungen nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches - Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II) dem Grunde nach für die Zeit ab dem 08.05.2013 bis einschließlich 31.10.2013, für den Monat Juli 2013 unter Berücksichtigung einer Betriebs- und Heizkostennachforderung.

Die 1969 geborene, geschiedene Klägerin ist polnische Staatsangehörige. Seit 12.08.2012 lebt sie in der Bundesrepublik Deutschland. Seit 25.10.2012 bewohnt sie allein eine 39,46 m² große Zwei-Raum-Wohnung am … in Berlin, für die sie zunächst monatlich 405,00 Euro zu zahlen hatte (davon 277,00 Euro Nettokaltmiete; 71,00 Euro Vorauszahlung für kalte und 57,00 Euro Vorauszahlung für warme Betriebskosten; Verwaltungsakte Bl. 7). Ab 01.07.2013 erhöhten sich die monatlichen Unterkunfts- und Heizaufwendungen auf 448,00 Euro (davon 277,00 Euro Nettokaltmiete, 89,00 Euro Vorauszahlung für kalte und 82,00 Euro Vorauszahlung für warme Betriebskosten; Verwaltungsakte Bl. 90).

Vom 17.08.2012 bis zum 16.11.2012 bestand ein befristetes Arbeitsverhältnis zwischen der Klägerin und der … mbH (Verwaltungsakte Bl. 11). Zum 05.10.2012 wurde die Antragstellerin von der …GmbH & Co. KG für Reinigungsarbeiten angestellt (Verwaltungsakte Bl. 12). Das Arbeitsverhältnis bestand bis zum 08.11.2012.

Auf einen Leistungsantrag vom 04.01.2013 hin bewilligte der Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 15.01.2013 (Verwaltungsakte Bl. 28) für die Zeit vom 01.01.2013 bis einschließlich 07.05.2013 laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II.

Einen am 22.04.2013 gestellten Weiterbewilligungsantrag der Klägerin lehnte der Beklagte durch Bescheid vom 13.05.2013 ab mit der Begründung, sie habe keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, weil sie ein Aufenthaltsrecht in der Bundes-republik Deutschland allein zum Zwecke der Arbeitssuche habe. Die Entscheidung beruhe auf § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II.

Gegen den Ablehnungsbescheid des Beklagten erhob die Klägerin am 22.05.2013 Widerspruch (Verwaltungsakte Bl. 62).

Ein ebenfalls am 22.05.2013 gestellter Antrag der Klägerin auf einstweiligen Rechtsschutz, mit dem sie ihr Leistungsbegehren weiter verfolgte, wurde vom Sozialgericht Berlin mit Beschluss vom 06.06.2013 abgelehnt (Az.: S 26 AS 12515/13 ER). Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Klägerin hatte teilweise Erfolg (Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 28.06.2013 - L 10 AS 1664/13 B ER).

Mit Schreiben vom 29.05.2013 (Verwaltungsakte Bl. 90) rechnete der Vermieter der von der Klägerin bewohnten Wohnung die Betriebs- und Heizkosten für den Zeitraum vom 17.10.2012 bis zum 31.12.2012 ab und machte eine Betriebskostennachforderung in Höhe von 163,72 Euro und eine Heizkostennachforderung von 169,61 Euro, insgesamt also 333,33 Euro, geltend. Die Nachzahlung sollte am 01.07.2013 fällig sein.

Den klägerischen Widerspruch gegen den Ablehnungsbescheid vom 13.05.2013 wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 19.06.2013 (W-…) als unbegründet zurück. Die Klägerin sei polnische Staatsangehörige und lebe seit 12.08.2012 in Deutschland. Aufgrund ihrer vorangegangenen Erwerbstätigkeit habe ein fortwirkendes Aufenthaltsrecht für sechs Monate bis einschließlich 07.05.2013 bestanden. Für die Zeit ab 08.05.2013 greife hi...

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