Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Rechtsanwaltsvergütung. Bestimmung der angemessenen Gebühr. Mittelgebühr. Toleranzrahmen. Durchschnittsfall

 

Orientierungssatz

1. Für die Bestimmung der angemessenen Gebühr gemäß § 14 Abs 1 S 1 RVG ist die Mittelgebühr ein fester Anhaltspunkt. Ein weiterer Anhaltspunkt ist das Zugeständnis, dass zwischen "billig" und "unbillig" in dieser Vorschrift ein Toleranzrahmen besteht, der aber fest begrenzt werden muss: Nur die Bestimmung des Rechtsanwalts, die um 20% oder mehr abweicht, ist danach grundsätzlich unbillig, wobei allerdings auch Gebührensätze unterhalb dieser Toleranzgrenze zur Unbilligkeit führen können.

2. Beide Anhaltspunkte - Mittelgebühr und Toleranzrahmen - sind nicht in der Weise zu kombinieren, dass in jedem Durchschnittsfall eine bis zu 20%ige Überschreitung der Mittelgebühr im Rahmen der Billigkeit bleibt, denn die Einführung der Mittelgebühr hat gerade den Zweck, in Durchschnittsverfahren einen bestimmten Betrag festlegen zu können.

3. Nichts anderes gilt in Durchschnittsfällen häufig auftretender besonderer Verfahrensarten oder Verfahrenskonstellationen, in denen regelmäßig nicht die Mittelgebühr in Ansatz gebracht wird, sondern - selbstverständlich immer vorbehaltlich von Besonderheiten im Einzelfall nach den weiteren Kriterien des § 14 RVG - aufgrund typisierungsfähiger Besonderheiten regelmäßig ein bestimmter Prozentsatz der Mittelgebühr.

 

Tenor

Die Erinnerung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Urkundsbeamten des Sozialgerichts vom 20. Oktober 2009 wird zurückgewiesen. Kosten des Erinnerungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I.

Streitgegenstand der Hauptsache war eine Untätigkeitsklage nach § 88 SGG auf Bescheidung eines Antrages auf Überprüfung bewilligter Leistungen nach § 44 SGB X, welche sich durch entsprechenden Erlass der ausstehenden Bescheide und anschließende prozessbeendende Erklärungen der Beteiligten erledigte.

Mit Schriftsatz vom 8. August 2008 beantragte der Erinnerungsführer die Kostenfestsetzung laut nachfolgender Berechnung:

Verfahrensgebühr Nr. 3102 VV RVG

150,00 EUR

Post- und Telekommunikationsdienstleistungen Nr. 7002 VV RVG

20,00 EUR

Umsatzsteuer Nr. 7008 VV RVG (19 %)

32,30 EUR

Summe

202,30 EUR.

Mit Schriftsatz vom 9. September 2008 teilte der Erinnerungsgegner mit, er habe die außergerichtlichen Kosten in beantragter Höhe angewiesen.

Mit Schriftsatz vom 23. Oktober 2008 beantragte der Erinnerungsführer die Festsetzung weiterer 100,00 EUR als Verfahrensgebühr zuzüglich Umsatzsteuer, insgesamt 119,00 EUR im Wege der Nachfestsetzung, da es beim Kostenfestsetzungsantrag vom 8. August 2008 einen Schreibfehler gegeben habe. Selbstverständlich sollte als Verfahrensgebühr die Mittelgebühr von 250,00 EUR und nicht lediglich 150,00 EUR festgesetzt werden.

Mit Schriftsatz vom 1. Dezember 2008 bat der Erinnerungsgegner um Kostenfestsetzung durch das Gericht, da er der Auffassung war, dass der Antrag auf Nachfestsetzung abzulehnen sei. Es sei allgemein anerkannt, dass für Untätigkeitsklagen Kosten von insgesamt 166,60 EUR geltend gemacht werden könnten. Da ein Betrag von 202,30 EUR bereits überwiesen worden sei, sei die Geltendmachung weitergehender Gebühren unbillig.

Mit insoweit rechtskräftigem Kostenfestsetzungsbeschluss vom 20. Februar 2009 setzte die Urkundsbeamtin einen Betrag von 0,00 EUR an zu erstattenden außergerichtlicher Kosten fest unter Zurückweisung der Anträge im übrigen laut folgender Berechnung

Verfahrensgebühr Nr. 3102 VV RVG

150,00 EUR

Post- und Telekommunikationsdienstleistungen Nr. 7002 VV RVG

20,00 EUR

Umsatzsteuer Nr. 7008 VV RVG (19 %)

32,30 EUR

insgesamt

202,30 EUR

Abzüglich bereits gezahlter

202,30 EUR

Differenz:

0,00 EUR.

In den Gründen hielt die Urkundsbeamtin unter Verweis auf den Musterbeschluss der 165. Kammer des Sozialgerichts Berlin vom 2. Februar 2009 - S 165 SF 11/09 E - eine Verfahrensgebühr in Höhe von 100,00 EUR (40% der Mittelgebühr) für billig. Da der Erinnerungsgegner jedoch eine Gebühr von 150,00 EUR zu zahlen bereit sei, sei diese festzusetzen gewesen.

Mit Schriftsatz vom 25. August 2009 beantragte der Erinnerungsführer die Nachfestsetzung einer (fiktiven) Terminsgebühr nach Anmerkung Ziff 3. zu Nr. 3106 VV RVG in Höhe von 96,00 EUR zuzüglich Umsatzsteuer nach Nr. 7008 VV RVG.

Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 20. Oktober 2009 setzte der Urkundsbeamte eine Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV RVG in Höhe von 80,00 EUR zuzüglich Umsatzsteuer nach Nr. 7008 VV RVG fest, und zwar unter Berufung auf die ständige Rechtsprechung der Kostenkammern des SG Berlin (S 165 SF 11/09 E vom 2. Februar 2009), wonach bei Untätigkeitsklagen eine Gebühr nach Nr. 3106 VV RVG in Gestalt der "fiktiven" Terminsgebühr grundsätzlich anfällt und zwar in der Regel - bei ansonsten im Ergebnis durchschnittlichen Verhältnissen nach den Kriterien des § 14 RVG - in Anlehnung an die Bestimmung der Verfahrensgebühr in Höhe von 80,00 EUR (40% der Mittelgebühr).

Mit der dagegen am 23. Oktober 2009 eingelegten E...

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