Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitslosengeld II. Schülermonatskarte. unabweisbarer Bedarf. Darlehen. keine Anwendbarkeit des § 73 SGB 12. monatlich wiederkehrender Bedarf. Umschichtung der Bedarfsbereiche. Ansparung. Sonderbedarf. Tilgung und Niederschlagung der Darlehensforderung. Höhe des Sozialgeldes. Verfassungsmäßigkeit

 

Orientierungssatz

1. Die Kostenübernahme einer Schülermonatskarte für den Besuch einer berufsbildenden Schule, die nicht im Katalog des § 114 Abs 1 SchulG ND aufgeführt ist, kann im Wege des § 23 Abs 1 S 1 SGB 2 als Darlehen erfolgen. Hierfür sprechen nicht zuletzt verfassungsrechtliche Erwägungen.

2. Ein Anspruch auf Übernahme der Fahrtkosten in Form einer (nicht rückzahlbaren) Beihilfe kann nicht im Wege einer verfassungskonformen Auslegung der Rechtsfolge des § 23 Abs 1 S 1 SGB 2 bzw des § 23 Abs 3 S 1 SGB 2 oder der analogen Anwendung der Rechtsfolge des § 28 Abs 1 S 2 Alt 2 SGB 12 herbeigeführt werden.

3. Die Heranziehung der Regelung des § 73 SGB 12 für die Kostenübernahme einer Schülermonatskarte im Regelungsbereich des SGB 2 ist nicht bereits durch § 5 Abs 2 S 1 SGB 2 ausgeschlossen; jedoch stellt die Anwendung des § 73 SGB 12 eine systemwidrige Zuordnung der Schülerbeförderungskosten zur "Hilfe in sonstigen Lebenslagen" dar.

4. Grundsätzlich handelt es sich bei den Kosten für eine Schülermonatskarte um einen dem Grunde nach von den Regelleistungen umfassten Bedarf, der als Teil des Bedarfsbereichs "Verkehr" anzusehen ist.

5. Es ist nicht zumutbar, eine (einfache) Strecke von ca 20 km zwischen Familienwohnung und Schule täglich als Schulweg mit dem Fahrrad zurückzulegen.

6. Auch "monatlich wiederkehrende" Bedarfe können vom Anwendungsbereich des § 23 Abs 1 S 1 SGB 2 umfasst sein.

7. Beträgt bei einer Schülerfahrkarte, für die monatlich ein Betrag iHv 58,70 Euro aufgewendet werden muss, der Fehlbetrag (nach Abzug des in der Regelleistung enthaltenen Anteils für Verkehr iHv 6% = 16,68 Euro) noch 42,02 Euro, so ist eine "Ansparung bzw Umschichtung von Regelleistungsanteilen - auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten - unzumutbar. Auch kann die Deckung eines solchen wiederkehrenden Bedarfs aus dem zur Ansparung vorgesehenen Vermögens nach § 12 Abs 2 Nr 4 SGB 2 oder "auf sonstige Weise" nicht erwartet werden.

8. Eine Übernahme der Kosten für die Schülermonatskarte kann auch nicht in Form der Annahme eines Sonderbedarfs iS des § 23 Abs 3 SGB 2 erfolgen.

9. Zu den notwendigen Erwägungen bei der Ermessensentscheidung über die Tilgung bzw Rückzahlung gem § 23 Abs 1 S 3 SGB 2 und über die Niederschlagung des Anspruchs gem § 44 SGB 2.

10. Die Regelleistung für Schulkinder (Sozialgeld) kann der Höhe nach nicht ohne weiteres als ausreichend angesehen werden.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 28.10.2009; Aktenzeichen B 14 AS 44/08 R)

 

Tenor

Der Beklagte wird unter entsprechender Abänderung des Bescheides der Gemeinde W vom 01.11.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.12.2007 verurteilt, der Klägerin ab dem 18.10.2007 bis zum 30.04.2008 anteilige Kosten für eine Schülermonatskarte in Höhe von 42,02 € monatlich in Form eines Darlehens zu gewähren. Bei der Entscheidung über die Tilgung bzw. Rückzahlung des Darlehens ist die Rechtsauffassung des Gerichts zu beachten.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Der Beklagte hat 1/3 der notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten.

Die Sprungrevision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Übernahme der Kosten für eine Schülermonatskarte.

Die ... 1989 geborene, in W bei ihren Eltern und ihrem ebenfalls volljährigen Bruder wohnende Klägerin besucht die Klasse II der Zweijährigen Berufsfachschule - Sozialpflege (Pflegevorschule) der Berufsbildende Schulen I in L Die Schule liegt etwa 20 km von ihrem Wohnort entfernt. Die aus der Klägerin und ihren Eltern bestehende Bedarfsgemeinschaft steht seit dem 01.01.2005 im Bezug von Arbeitslosengeld II. Mit Bescheid vom 23.04.2007 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 25.09.2007 und Bescheid vom 30.10.2007 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 08.11.2007 bewilligte die für den Beklagten handelnde Gemeinde W bis zum 30.04.2008 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts unter Berücksichtigung von Kosten der Unterkunft und Heizung nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Für die Klägerin wurde ein Sozialgeld in Höhe von 278,- € monatlich als Bedarf und Kindergeld in Höhe von 154,- € monatlich als Einkommen berücksichtigt.

Am 18.10.2007 stellte die Klägerin bei der Gemeinde W einen Antrag auf Übernahme der Busfahrkosten von V, G G nach L B BBS I. Der Preis für eine Monatskarte betrage 58,70 €.

Mit Bescheid vom 01.11.2007 lehnte die Gemeinde W den Antrag ab. Aufwendungen für Verkehr seien Bestandteil der Regelleistungen nach § 20 SGB II. Reiche dieser Betrag zur Deckung der Fahrtkosten nicht aus, müssten Verschiebungen innerhalb der Regelleistungen vorgenommen werden. Eine Übernahme der Fahrtkosten durch den Landkreis scheide aus, da die besuchte Schule nicht ...

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