Entscheidungsstichwort (Thema)
Erwerbsminderungsrente. Bezugszeiten vor Vollendung des 60. Lebensjahres. Rentenabschlag. Verfassungsmäßigkeit
Orientierungssatz
1. Auch Erwerbsminderungsrenten, die vor dem 60. Lebensjahr in Anspruch genommen werden, sind mit einem Abschlag zu versehen (Anschluss an SG Aachen vom 9.2.2007 - S 8 R 96/06, Entgegen BSG vom 16.5.2006 - B 4 RA 22/05 R = BSGE 96, 209 = SozR 4-2600 § 77 Nr 3).
2. Der Satz 3 des § 77 Abs 2 SGB 6 ("Die Zeit des Bezugs einer Rente vor Vollendung des 60. Lebensjahres des Versicherten gilt nicht als Zeit einer vorzeitigen Inanspruchnahme") bedeutet nicht, dass die vorzeitige Inanspruchnahme vor Vollendung des 60. Lebensjahres eine Minderung des Zugangsfaktors ausschließt.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen. Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten. Die Sprungrevision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Höhe der Erwerbsminderungsrente ab 01.10.2005.
Der am 00.00.0000 geborene Kläger beantragte am 12.09.2005 Rente wegen voller Erwerbsminderung. Aufgrund eines im Verfahren S 5 KN 43/06 (Sozialgericht Aachen) geschlossenen Vergleichs bewilligte die Beklagte durch Bescheid vom 07.12.2006 - ausgehend von einer seit 12.09.2005 bestehenden Erwerbsminderung - Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit ab 01.10.2005. Die Höhe dieser Rente bestimmt die Beklagte nach einem verminderten Zugangsfaktor von 0,892.
Dagegen legte der Kläger am 02.01.2007 Widerspruch ein. Er hielt den durch den verminderten Zugangsfaktor bedingten Rentenabschlag für rechts- und verfassungswidrig und verwies auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 16.05.2006 - B 4 RA 22/05 R.
Die Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 08.03.2007 - zugegangen am 22.03.2007 - zurück mit der Begründung, das Recht bei der Berechnung der Rente richtig angewandt zu haben. Entgegen dem Urteil des BSG vom 16.05.2006 sei die Vorschrift des § 77 Abs. 2 Satz 2 SGB VI nicht als Grundregel (Ausschlussregel), sondern als bloße Berechnungsregel für Erwerbsminderungsrenten zu verstehen, die vor Vollendung des 60. Lebensjahres geleistet würden. Dies habe zur Folge, dass der Zugangsfaktor auch für den Zeitraum vor Vollendung des 60. Lebensjahres um den Abschlag zu mindern sei. Dies ergebe sich bereits bei isolierter Betrachtung dieser Vorschrift, folge aber auch aus ihrer Auslegung im Kontext des § 77 Abs. 3 SGB VI sowie unter Berücksichtigung des in den Gesetzesmaterialien zum Gesetz zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20.12.2000 (EM-ReformG) zum Ausdruck kommenden Willen des Gesetzgebers. Zudem führe die Ansicht des BSG dazu, dass eine zuvor unverminderte Rente allein mit Vollendung des 60. Lebensjahres um 10,8% gekürzt werde. Eine solche Rentenkürzung ohne jegliche Änderung in den Verhältnissen sei dem Rentenrecht jedoch bisher nicht bekannt und stehe im Widerspruch zu der Regelung des § 88 Abs. 1 SGB VI.
Dagegen hat der Kläger am 16.04.2007 Klage erhoben.
Der Kläger beantragt nach seinem schriftlichen Vorbringen,
die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 07.12.2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 08.03.2007 zu verurteilen, ihm ab 01.10.2005 höhere Rente wegen Erwerbsminderung unter Zugrundelegung eines Zugangsfaktors von 1,0 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen den Kläger betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten, die bei der Entscheidung vorgelegen haben, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Kammer konnte durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil sich die Beteiligten hiermit übereinstimmend einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs. 2 SGG).
Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet.
Der Kläger wird durch die angefochtenen Bescheide nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, da sie nicht rechtswidrig sind. Die Beklagte hat bei der Bewilligung der Erwerbsminderungsrente ab 01.10.2005 das Recht richtig angewandt und zahlt die Rentenleistungen in richtiger Höhe.
Die Beklagte hat sich bei der Berechnung der Rente und bei der Bestimmung des Zugangsfaktors zu Recht auf das ab 01.01.2001 geltende Rentenrecht in der Fassung des Gesetzes zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20.12.2000 - BGBl. I S. 1827 - gestützt. Sie hat den für die Erwerbsminderungsrente maßgeblichen Zugangsfaktor richtig mit 0,892 bestimmt, indem sie in Anwendung von § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) den Regel-Zugangsfaktor 1,0 für 36 Monate um je 0,003, insgesamt also um 0,108 niedriger angesetzt hat.
Zwar entspricht die Rentenberechnung der Beklagten nicht der Auffassung des BSG im Urteil vo...