Rz. 11

Vom Grundsatz der Schweizer Wohnsitzzuständigkeit gilt es folgende Ausnahmen zu beachten:

 

Rz. 12

Der Schweizer Wohnsitzgerichtsstand greift nicht für im Ausland gelegene Immobilien, falls der ausländische Staat, in welchem die Immobilie liegt, für auf seinem Territorium gelegene Grundstücke die ausschließliche Zuständigkeit beansprucht (Art. 86 Abs. 2 IPRG). Diesfalls geht die ausländische Zuständigkeit für das entsprechende Grundstück der Schweizer Zuständigkeit vor, was in vielen Fällen zu einer Nachlassspaltung führt.[15] Ob die ausländische Zuständigkeit für ein Grundstück eine ausschließliche Zuständigkeit i.S.v. Art. 86 Abs. 2 IPRG darstellt, hängt davon ab, ob der Belegenheitsstaat eine schweizerische Zuständigkeit und damit einen Schweizer Entscheid in Bezug auf das entsprechende Grundstück anerkennt oder nicht.[16] Weil die EuErbVO nur die Anerkennung von in anderen Mitgliedstaaten ergangenen Entscheiden regelt, nicht aber diejenige von Drittstaaten wie der Schweiz, dürfte davon auszugehen sein, dass in Bezug auf die Anerkennung von in der Schweiz ergangenen Entscheiden – und damit auch für die Frage, ob die ausländische Zuständigkeit eine ausschließliche i.S.v. Art. 86 Abs. 2 IPRG darstellt – wie bis anhin auf das nationale IPR der jeweiligen Staaten zurückzugreifen ist.[17] Derzeit ist unklar, ob die subsidiäre Zuständigkeit gestützt auf Art. 10 EuErbVO unter den Vorbehalt von Art. 86 Abs. 2 IPRG fällt.[18] Es bleibt abzuwarten, ob und gegebenenfalls inwieweit die einzelnen EU-Mitgliedstaaten (z.B. Frankreich) im Verhältnis zu Drittstaaten an der bisher beanspruchten ausschließlichen Zuständigkeit für im eigenen Staat belegene Grundstücke festhalten werden.

 

Rz. 13

Ausnahmsweise erachten sich die Schweizer Gerichte und Behörden auch ohne Schweizer Wohnsitz des Erblassers für zuständig. Dies ist einmal dann der Fall, wenn sich im Nachlass eines Ausländers Nachlassvermögen in der Schweiz befindet und sich die ausländischen Behörden mit diesem nicht befassen (Art. 88 IPRG). Weiter erachtet sich die Schweiz auch für den Nachlass eines im Ausland lebenden Schweizers zuständig, soweit sich die ausländische Behörde mit dem Nachlass nicht befasst oder wenn ein im Ausland lebender Schweizer seinen Nachlass dem Schweizer Heimatrecht und/oder der Schweizer Zuständigkeit unterstellt hat (Art. 87 IPRG). Schließlich sind die Schweizer Behörden in jedem Fall für die Sicherung des inländischen Nachlasses eines im Ausland verstorbenen Erblassers zuständig (Art. 89 IPRG). Auf sichernde Maßnahmen wenden die Behörden Schweizer Recht an.[19] Das Verfahren richtet sich je nachdem, ob das kantonale Organisationsrecht als zuständige Behörde ein Gericht oder eine Verwaltungsbehörde bezeichnet, nach der Schweizerischen ZPO[20] oder dem kantonalen Verwaltungsverfahrensrecht.[21] ,[22]

 

Rz. 14

Obschon im Gesetz nicht explizit geregelt, erachtet es die herrschende Lehre unter bestimmten Voraussetzungen als zulässig, dass der in der Schweiz wohnhafte Ausländer in Durchbrechung des Wohnsitzprinzips neben einer Rechtswahl zugunsten seines Heimatrechts (Art. 90 Abs. 2 IPRG) auch eine Zuständigkeitswahl zugunsten der Heimatbehörden trifft (Art. 87 Abs. 2 IPRG per analogiam).[23] Dies deckt sich mit Art. 96 Abs. 1 lit. a IPRG, wonach die Zuständigkeit des ausländischen Heimatstaates anerkannt wird, wenn der Erblasser dessen Recht gewählt hat.[24] Im Rahmen der laufenden IPRG-Revision ist geplant, die Möglichkeit einer Zuständigkeitswahl zugunsten der ausländischen Heimatgerichte explizit in das Gesetz aufzunehmen. Ob die Parteien hinsichtlich einer einzelnen Erbschaftsstreitigkeit gestützt auf Art. 5 und 6 IPRG einen anderen Gerichtsstand vereinbaren können – und sei es bloß zum Zweck einer interregionalen Prorogation –, ist umstritten.[25]

[15] Die entsprechenden Vermögenswerte können bei der Berechnung der Pflichtteilsmasse nach Schweizer Recht jedoch berücksichtigt werden; vgl. Schnyder/Liatowitsch, BSK-IPRG, Art. 86 IRPG Rn 18a; Heini, ZK-IPRG, Art. 86 IPRG Rn 11.
[16] Schnyder/Liatowitsch, BSK-IPRG, Art. 86 IPRG Rn 15.
[17] Weiss/Bigler, S. 181 Fn 123.
[18] Künzle, ZK-IPRG, Art. 86 IPRG – Rn 21.
[19] Schnyder/Liatowitsch, BSK-IPRG, Art. 89 IPRG Rn 5.
[20] Schweizerische Zivilprozessordnung (Zivilprozessordnung, ZPO; SR 272).
[21] Art. 92 Abs. 2 S. 2 IPRG; Karrer/Vogt/Leu, BSK-ZGB, Vorbemerkungen zu Art. 551–559 ZGB Rn 10.
[22] Zu den Sicherungsmaßregeln siehe Rdn 190 ff.
[23] Die herrschende Lehre erachtet dies grundsätzlich für zulässig, sofern die Zuständigkeitswahl zusammen mit einer Rechtswahl gemäß Art. 90 Abs. 2 IPRG getroffen wird und vorausgesetzt, der Heimatstaat nimmt die Zuständigkeitswahl an. Tut er dies nicht, bleibt es bei der regulären Wohnsitzzuständigkeit nach Art. 86 IPRG, vgl. Schnyder/Liatowitsch, BSK-IPRG, Art. 87 IPRG Rn 16; weiterführend Weiss/Bigler, S. 183 Fn 127.
[24] Vgl. Heini, ZK-IPRG, Art. 86 IPRG Rn 7.
[25] Zustimmend Bucher, S. 145 ff., 146; ablehnend: Heini, ZK-IPRG, Art. 86 IPRG Rn 8 f., mit Hinweis a...

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