Rz. 30

Als Ausnahme zu § 17 Nr. 1 ordnet § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 10 in Ergänzung der VV Vorb. 4.1 an, dass die Einlegung eines Rechtsmittels bei dem Gericht desselben Rechtszugs noch durch die Verfahrensgebühren nach VV 4102 ff. abgegolten wird. Dies gilt sowohl für die Einlegung der Berufung oder Sprungrevision beim AG als auch für die Einlegung der Revision beim LG.[6]

 

Rz. 31

Diese Vorschrift gilt nur für den Vollverteidiger (Wahlanwalt und beigeordneter Anwalt), wobei unerheblich ist, ob er in der Hauptverhandlung tätig war oder nur außerhalb der Hauptverhandlung. Die Regelung in § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 10 gilt dagegen nicht für den Anwalt, der nur mit Einzeltätigkeiten beauftragt war und dessen Vergütung sich nach VV 4300 ff. richtet.

 

Rz. 32

Des Weiteren gilt diese Vorschrift nur dann, wenn das Rechtsmittel bei demselben Gericht eingelegt wird, dessen Entscheidung angefochten wird. Da Berufung und Revision und Sprungrevision in Strafsachen bei dem Gericht einzulegen sind, dessen Entscheidung angefochten wird, dürfte diese Voraussetzung immer gegeben sein. Soweit allerdings ausnahmsweise die Einlegung des Rechtsmittels auch beim Rechtsmittelgericht in Betracht kommt, greift § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 10 nicht, so dass bereits mit der Einlegung die Gebühr für das Rechtsmittelverfahren entsteht. Der Verteidiger macht sich hier jedoch ggf. schadensersatzpflichtig, da er den kostengünstigsten Weg verlässt. Die anfallenden Mehrkosten kann er dann nicht liquidieren.

 

Beispiel: Die Berufungsfrist vor dem AG wird versäumt. Der Verteidiger stellt daraufhin einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und legt gleichzeitig Berufung ein. Den Antrag richtet er an das LG als Berufungsgericht. Das LG lehnt den Antrag wegen Verschuldens des Angeklagten an der Fristversäumung ab.

Der Antrag auf Wiedereinsetzung ist nach § 45 Abs. 1 S. 1 StPO grundsätzlich bei dem Gericht zu stellen, bei dem die Frist wahrzunehmen war. Das wäre hier das AG gewesen (§ 314 Abs. 1 StPO). Nach § 45 Abs. 1 S. 2 StPO kann der Antrag aber auch bei dem Gericht gestellt werden, das über den Wiedereinsetzungsantrag zu entscheiden hat. Das ist hier nach § 46 Abs. 1 StPO das LG, da es bei rechtzeitiger Einlegung über die Berufung zu entscheiden gehabt hätte. Somit kann der Wiedereinsetzungsantrag zusammen mit der nach § 45 Abs. 2 S. 2 StPO gleichzeitig einzureichenden Berufung beim LG eingereicht werden. Der Anwalt erhält hierfür also bereits eine Gebühr nach VV 4142.

Hätte der Anwalt den Antrag beim AG eingereicht, so wäre seine Tätigkeit gemäß Abs. 2 durch die Gebühr des VV 4106 abgegolten worden. Die Gebühr nach VV 4124 kann er daher nur insoweit geltend machen, als der Wiedereinsetzungsantrag nach § 14 Abs. 1 zu einer Erhöhung der Gebühr der VV 4106 geführt hätte.

 

Rz. 33

Schließlich muss der Verteidiger in der unmittelbaren Vorinstanz tätig gewesen sein. So gilt § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 10 nicht für den erstinstanzlichen Verteidiger, der im Berufungsverfahren nicht tätig war und nunmehr gegen das Berufungsurteil Revision einlegen soll.

 

Rz. 34

Unerheblich ist dagegen, mit welchem Rechtsmittel der Verteidiger beauftragt worden ist, also ob er Berufung oder Revision einlegen soll oder auch eine Sprungrevision. Ausreichend ist, dass er lediglich erklärt, Rechtsmittel einzulegen und sich vorbehält, zu einem späteren Zeitpunkt zu entscheiden, welches Rechtsmittel durchgeführt werden soll.[7]

 

Rz. 35

Die Vorschrift des § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 10 gilt auch für den Vertreter des Neben- oder Privatklägers oder eines anderen Beteiligten i.S.d. VV Vorb. 4 Abs. 1, wenn sie ihrerseits Rechtsmittel einlegen.

[6] OLG Jena JurBüro 2006, 365.
[7] Die Entscheidung kann bis zum Ablauf der Revisionsbegründungsfrist zurückgestellt werden, Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 335 Rn 5.

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