Rz. 72

Wird der Einspruch gegen den Bußgeldbescheid im gerichtlichen Verfahren, also nach Abgabe der Akten an das erstinstanzliche Gericht zurückgenommen, so erhält der Anwalt, der daran mitwirkt, für das gerichtliche Verfahren eine Zusätzliche Gebühr nach Anm. Abs. 1 Nr. 4.

 

Rz. 73

Ist ein Termin zur Hauptverhandlung bereits anberaumt, steht dem Verteidiger die Zusätzliche Gebühr allerdings nur dann zu, wenn der Einspruch früher als zwei Wochen vor Beginn des Tages, der für die Hauptverhandlung vorgesehen war, zurückgenommen wird.

 

Rz. 74

Maßgebend ist der Termin, der zum Zeitpunkt der Rücknahme anberaumt war. Auf einen früher einmal anberaumten Termin, der zwischenzeitlich aufgehoben worden ist, darf nicht abgestellt werden.[54]

 

Rz. 75

Schon im Normalfall bestehen unterschiedliche Auffassungen, wie die sog. "Zwei-Wochen-Frist" zu berechnen ist.

 

Beispiel: Nach Eingang der Akten hatte das AG Köln Termin zur Hauptverhandlung auf Mittwoch, den 19.8.2020 bestimmt. Der Verteidiger sollte den Einspruch vor der Hauptverhandlung zurücknehmen.

 

Rz. 76

Die Rücknahme musste also

früher als zwei Wochen
vor Beginn des Tages, der für die Hauptverhandlung vorgesehen war,

zurückgenommen werden.

Wäre der Einspruch erst am Donnerstag, den 6.8.2020, oder noch später zurückgenommen worden, wäre die sog. "Zwei-Wochen-Frist" auf keinen Fall mehr gewahrt gewesen. Eine Zusätzliche Gebühr wäre nicht angefallen.

Auch eine Rücknahme am Mittwoch, den 5.8.2020, hätte nicht ausgereicht, da sie "früher" als zwei Wochen "vor" dem Tage der Hauptverhandlung hätte erklärt werden müssen.

Wäre der Einspruch bis einschließlich zum Montag, den 3.8.2020, zurückgenommen worden, wäre die "Frist" von mehr als zwei Wochen bis zum Hauptverhandlungstermin auf jeden Fall gewahrt gewesen. Die Zusätzliche Gebühr wäre angefallen.

Problematisch wäre es geworden, wenn der Einspruch am Dienstag, den 4.8.2020, zurückgenommen worden wäre.

 

Rz. 77

Hartung[55] und Houben[56] gehen offenbar von einer echten Frist i.S.d. Gesetzes aus. Nach ihrer Auffassung soll § 43 Abs. 1 StPO entsprechend anzuwenden sein. Die "Zwei-Wochen-Frist" der VV 5115 würde danach mit Ablauf des Tages der zweiten Woche, der durch seine Benennung dem Tag entspricht, an dem die Frist begonnen hat, enden. Damit ist aber noch nicht gesagt, wann die Frist beginnt. Das wäre noch zu ermitteln.

 

Rz. 78

Ausgangspunkt für die Berechnung gesetzlicher Fristen ist § 186 BGB. In den §§ 187 ff. BGB findet sich eine dem § 43 Abs. 1 StPO vergleichbare Regelung, nämlich in § 188 Abs. 2 BGB. Insoweit ergibt sich also kein Widerspruch. Für den Beginn einer Frist nimmt diese Vorschrift Bezug auf § 187 BGB. Danach ergäbe sich für das Beispiel folgendes: Die sog. "Zwei-Wochen-Frist" wäre ausgelöst worden durch den Eingang der Rücknahme bei Gericht, also durch ein Ereignis. Damit wäre auf § 187 Abs. 1 BGB abzustellen. Wäre der Einspruch am Dienstag, den 4.8.2020, zurückgenommen worden, würde dieser Tage gemäß § 187 Abs. 1 BGB nicht mitgerechnet. Die Zweiwochenfrist hätte also am Mittwoch, den 5.8.2020, begonnen und hätte am Dienstag, den 16.8.2016 geendet. Das wäre der Tag vor Beginn der Hauptverhandlung. Nun reicht es aber nach dem ausdrücklichen Wortlaut VV 5115 nicht aus, wenn der Einspruch zwei Wochen vor Beginn der Hauptverhandlung zurückgenommen wird. Erforderlich sind mehr als zwei Wochen. Folglich hätte die Rücknahme am 4.8.2020 danach nicht ausgereicht. Sie hätte vielmehr spätestens am 3.8.2020 erklärt werden, also volle 15 Tage vor der Hauptverhandlung.

 

Rz. 79

Diese Berechnung und ihre Begründung dürften jedoch unzutreffend sein. Die Vorschriften der § 46 StPO, §§ 186 ff. BGB sind unergiebig, da sie von einer "Frist" ausgehen. Damit haben wir es in den VV 5115 aber gar nicht zu tun. Unter einer Frist versteht man einen abgegrenzten, also bestimmt bezeichneten oder jedenfalls bestimmbaren Zeitraum, innerhalb dessen gehandelt werden soll.[57] Die Rücknahme soll nach VV 5115 jedoch nicht innerhalb einer Frist vorgenommen werden. Die Erklärung darf vielmehr – wenn sie Gebühren auslösen soll – nicht innerhalb eines bestimmten Zeitraums erklärt werden, nämlich nicht innerhalb der zwei Wochen vor dem Tag der Hauptverhandlung. Die "Zwei-Wochen-Frist" ist also keine Frist, sondern ein Zeitraum. Dafür gilt aber weder § 47 Abs. 1 StPO noch gelten die §§ 186 ff. BGB. Bei Zeiträumen werden sowohl der erste Tag als auch der letzte Tag mitgerechnet. So dauert z.B. ein Mietverhältnis vom ersten Tag an bis zum letzten Tag.

 

Rz. 80

Selbst wenn man von einer Frist ausginge, würde diese auch nicht mit der Rücknahme beginnen. Anknüpfungspunkt der "Zwei-Wochen-Frist" ist nicht der Tag der Rücknahmeerklärung, sondern der Tag der Hauptverhandlung, genau genommen der Tag vor der Hauptverhandlung. Von hier aus ist "rückwärts" zu rechnen und der Termin zu ermitteln, bis zu dem spätestens die Rücknahme erklärt werden, also bei Gericht eingehen muss.

 

Rz. 81

Zu rechnen ist danach wie folgt:

Im Beispiel sollte die Hauptverhandlung am 19.8.2020 statt...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge