Rz. 104

Häufig wird auch die Rücknahme der Anklage oder die Rücknahme des Antrags auf Erlass eines Strafbefehls durch die Staatsanwaltschaft in analoger Anwendung der Anm. Abs. 1 S. 1 Nr. 1 als ein Grund für die Zusätzliche Gebühr angesehen. Dies ist in dieser Aussage jedoch unzutreffend. Alleine die Rücknahme der Anklage oder die Rücknahme des Antrags auf Erlass des Strafbefehls beendet das Verfahren noch nicht.[112] Dieser Fall ist daher mit einer "nicht nur vorläufigen Einstellung" nicht vergleichbar.[113] Die Strafsache wird vielmehr in das vorbereitende Verfahren zurückversetzt und dort fortgeführt.

 

Rz. 105

Wird das Verfahren dann allerdings nach Rücknahme im vorbereitenden Verfahren eingestellt, lässt dies die Zusätzliche Gebühr entstehen.[114] Allerdings zählt die Einstellung dann zum vorbereitenden Verfahren, das sich nach Rücknahme der Anklage oder Rücknahme des Strafbefehls fortsetzt.[115]

 

Rz. 106

Fehlt es ausdrücklich an einem Einstellungsbeschluss, so ist durch Auslegung zu ermitteln, ob die Staatsanwaltschaft mit der Rücknahme der Anklage oder der Rücknahme des Antrags auf Erlass eines Strafbefehls gleichzeitig die Einstellung des Verfahrens konkludent erklären wollte. In diesem Fall ist Anm. Abs. 1 S. 1 Nr. 1 anzuwenden.[116]

 

Rz. 107

Für die Zusätzliche Gebühr ist es unerheblich, ob der Verteidiger zuvor bereits im Ermittlungsverfahren tätig war. Dies hat nur Einfluss auf die sonstigen Gebühren.

 

Beispiel: Die Staatsanwaltschaft nimmt die Anklage vor dem AG nach Eröffnung des Verfahrens aufgrund einer Einlassung des Verteidigers zurück und stellt das Verfahren nach § 170 Abs. 2 StPO ein. Der Verteidiger war bereits im Ermittlungsverfahren tätig.

Im gerichtlichen Verfahren entsteht keine Zusätzliche Gebühr, weil die Sache mit Rücknahme der Anklage noch nicht erledigt ist und jederzeit eine neue Anklage erhoben werden kann. Mit der Rücknahme der Anklage ist die Sache wieder in das vorbereitende Verfahren zurückversetzt worden, sodass dort jetzt infolge der Einstellung die Zusätzliche Gebühr anfällt. Da der Verteidiger dort bereits tätig war, kann die Verfahrensgebühr nicht erneut entstehen. Sie kann jetzt allenfalls aufgrund des höheren Umfangs seiner Tätigkeit überdurchschnittlich anzusetzen sein.

Geht man von der Mittelgebühr aus, dann ist wie folgt zu rechnen:

 
I. Vorbereitendes Verfahren
1. Grundgebühr, VV 4100   220,00 EUR
2. Verfahrensgebühr, VV 4104   181,50 EUR
3. Postentgeltpauschale, VV 7002   20,00 EUR
  Zwischensumme 421,50 EUR  
4. 19 % Umsatzsteuer, VV 7008   80,09 EUR
Gesamt   501,59 EUR
II. Erstinstanzliches gerichtliches Verfahren
1. Verfahrensgebühr, VV 4106   181,50 EUR
2. Postentgeltpauschale, VV 7002   20,00 EUR
  Zwischensumme 201,50 EUR  
3. 19 % Umsatzsteuer, VV 7008   38,29 EUR
Gesamt   239,79 EUR
III. Fortgesetztes vorbereitendes Verfahren nach Rücknahme der Anklage
1. Grundgebühr, VV 4100   220,00 EUR
2. Verfahrensgebühr, VV 4104   181,50 EUR
3. Zusätzliche Gebühr, VV 4141, 4106   181,50 EUR
4. Postentgeltpauschale, VV 7002   20,00 EUR
5. Bereits abgerechnet (netto)   – 421,50 EUR
  Zwischensumme 181,50 EUR  
6. 19 % Umsatzsteuer, VV 7008   34,49 EUR
Gesamt   215,99 EUR
 

Beispiel: Wie vorangegangenes Beispiel; der Anwalt war im vorbereitenden Verfahren jedoch nicht tätig gewesen.

Im gerichtlichen Verfahren entsteht auch jetzt keine Zusätzliche Gebühr, wohl aber die Grundgebühr. Mit Rücknahme der Anklage lebt das Ermittlungsverfahren auf, sodass der Anwalt dort jetzt zunächst die Verfahrensgebühr der VV 4104 verdient und anschließend auch die Zusätzliche Gebühr.

Geht man von der Mittelgebühr aus, dann ist wie folgt zu rechnen:

 
I. Erstinstanzliches gerichtliches Verfahren
1. Grundgebühr, VV 4100   220,00 EUR
2. Verfahrensgebühr, VV 4106   181,50 EUR
3. Postentgeltpauschale, VV 7002   20,00 EUR
  Zwischensumme 421,50 EUR  
4. 19 % Umsatzsteuer, VV 7008   80,09 EUR
Gesamt   501,59 EUR
II. Vorbereitendes Verfahren
1. Verfahrensgebühr, VV 4104   181,50 EUR
2. Zusätzliche Gebühr, VV 4141, 4106   181,50 EUR
3. Postentgeltpauschale, VV 7002   20,00 EUR
  Zwischensumme 383,00 EUR  
4. 19 % Umsatzsteuer, VV 7008   72,77 EUR
Gesamt   455,77 EUR
 

Rz. 108

Das gilt auch dann, wenn schon ein Termin stattgefunden hat, die Hauptverhandlung aber ausgesetzt worden war.[117] Es gilt auch hier das Gleiche wie bei einer Einstellung nach Aussetzung der Hauptverhandlung.

 

Rz. 109

Wird nach Rücknahme der Anklage diese erneut erhoben, ist dagegen für VV 4141 kein Raum.[118]

 

Rz. 110

Die Rücknahme der Anklage oder des Antrags auf Erlass eines Strafbefehls ist im Berufungsverfahren ebenfalls möglich, allerdings wegen § 156 StPO nur in den Fällen der §§ 153 Abs. 1, 153a Abs. 1, 153c Abs. 3 oder 153d Abs. 2 StPO.[119]

[113] Burhoff/Volpert, RVG, VV 4141 Rn 19.
[114] OLG Köln 5.2.2010 – 2 Ws 39/10, AGS 2010, 175 = JurBüro 2010, 362; AG Gießen 29.6.2016 – 507 Ds 604 Js 35439/13, AGS 2016, 394 = RVGreport 2016, 348; LG Berlin 28.12.2016 – 536 Qs ...

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