I. Gebührentatbestände

 

Rz. 4

Hinsichtlich der Berechnung der Anwaltsvergütung scheint das Gesetz widersprüchlich zu sein, da es einerseits in § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 9 anordnet, dass die Tätigkeit des Anwalts im Verfahren auf Vollstreckbarerklärung eines Urteils zum Rechtszug gehört und somit durch die Gebühren der VV 3100 ff. abgegolten wird, andererseits in VV 3329 einen eigenen Gebührentatbestand hierfür vorsieht. Ein Widerspruch zwischen § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 9 und VV 3329 besteht jedoch nur scheinbar. Obwohl das Verfahren auf Vollstreckbarerklärung prozessual stets zum Rechtsstreit gehört,[3] kann das Verfahren gebührenrechtlich je nach Fallgestaltung zum Prozessverfahren zählen oder eine eigene Angelegenheit darstellen.

[3] OLG München AGS 1993, 12 = JurBüro 1993, 156.

II. Umfang der Angelegenheit

1. Selbstständige Angelegenheit oder Teil des Rechtsmittelverfahrens?

 

Rz. 5

Eine gesonderte Angelegenheit, die nach VV 3329 zu vergüten ist, liegt immer dann vor, wenn der nicht angegriffene Teil des Urteils niemals Gegenstand des Rechtsmittelverfahrens war. Dagegen zählt das Verfahren auf Vollstreckbarerklärung als Teil des Rechtsmittelverfahrens, wenn der ursprünglich noch nicht oder später nicht mehr angegriffene Teil des Urteils im Verlaufe des Rechtsmittelverfahrens irgendwann einmal anhängig war. Nur dann gilt § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 9, so dass die Tätigkeit auf Vollstreckbarerklärung durch die Gebühren der VV 3100 ff. abgegolten wird.

2. Fälle der Zugehörigkeit zum Rechtsmittelverfahren

 

Rz. 6

Die Tätigkeit des Anwalts gehört in folgenden Fällen zum Rechtsmittelverfahren, so dass nach § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 9 eine einzige Angelegenheit vorliegt:

a) Das ursprünglich unbeschränkt eingelegte Rechtsmittel wird nachträglich beschränkt

 

Rz. 7

 

Beispiel: Der Beklagte ist verurteilt worden, 10.000 EUR zu zahlen. Er legt gegen das Urteil Berufung ein und beantragt, das Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen. In der mündlichen Verhandlung nimmt er die Berufung teilweise zurück und wehrt sich nur noch gegen seine Verurteilung, soweit diese über 6.000 EUR hinausgeht. Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen und den nicht angegriffenen Teil des Urteils vorläufig für vollstreckbar zu erklären.

Die gesamten 10.000 EUR waren anfangs Gegenstand des Berufungsverfahrens. Die spätere Teilrücknahme der Berufung ändert daran nichts mehr. Es liegt daher nach § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 9 nur eine Angelegenheit vor.[4] Zu rechnen ist für den Anwalt des Klägers wie folgt:

Gegenstandswert: 10.000 EUR

 
1. 1,6-Verfahrensgebühr, VV 3200   982,40 EUR
2. 1,2-Terminsgebühr, VV 3202   736,80 EUR
3. Postentgeltpauschale, VV 7002   20,00 EUR
  Zwischensumme 1.739,20 EUR  
4. 19 % Umsatzsteuer, VV 7008   330,45 EUR
Gesamt   2.069,65 EUR

Wäre die Berufung vor dem Termin zurückgenommen worden, wäre die Terminsgebühr nur nach 6.000 EUR angefallen.

[4] E. Schneider, DRiZ 1979, 44; N. Schneider, AGS 1996, 85; ders., ZAP Fach 24, S. 597.

b) Das ursprünglich beschränkte Rechtsmittel wird nachträglich erweitert

 

Rz. 8

 

Beispiel: Der Beklagte ist verurteilt worden, 10.000 EUR zu zahlen. Er legt Berufung ein und wendet sich nur gegen die Verurteilung, soweit sie einen Betrag in Höhe von 4.000 EUR übersteigt. Daraufhin beantragt der Kläger, das Urteil in Höhe von 4.000 EUR für vorläufig vollstreckbar zu erklären. Anschließend erweitert der Beklagte jedoch sein Rechtsmittel und beantragt nunmehr, das erstinstanzliche Urteil insgesamt abzuändern. Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Mit diesen Anträgen wird verhandelt.

 

Rz. 9

Zunächst waren nur die angegriffenen 6.000 EUR Gegenstand des Berufungsverfahrens, so dass zunächst einmal eine Gebühr nach VV 3329 aus den weiteren 4.000 EUR entstanden ist. Durch die nachträgliche Erweiterung der Berufung sind jedoch die vollen 10.000 EUR zum Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden, so dass wiederum § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 9 greift.[5] Die Gebühr der VV 3329 geht in der der VV 3100 auf.[6] Zu rechnen ist ebenso wie zuvor.

[5] N. Schneider, AGS 1996, 85; ders., ZAP Fach 24, S. 597.
[6] OLG Celle NdsRpfl 1959, 152; Zöller/Heßler, § 537 Rn 15.

c) Der nicht angefochtene Teil des Urteils wird in eine spätere Einigung einbezogen

 

Rz. 10

 

Beispiel: Gegen seine Verurteilung zu 10.000 EUR legt der Beklagte nur in Höhe von 6.000 EUR Berufung ein. Der Kläger beantragt daraufhin, wegen der weiteren 4.000 EUR das erstinstanzliche Urteil für vorläufig vollstreckbar zu erklären. Auf Vorschlag des Gerichts schließen die Parteien gemäß § 278 Abs. 6 ZPO einen Vergleich über die gesamte Klageforderung in Höhe von 10.000 EUR, also auch, soweit sie durch die Berufung nicht angegriffen worden ist.

 

Rz. 11

Durch die Einbeziehung in den Vergleich ist die gesamte Urteilsforderung zum Gegenstand des Berufungsverfahrens gemacht worden, so dass auch hier wiederum § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 9 gilt. Aus dem Wert des nicht angefochtenen Teils ist eine 0,8-Gebühr nach VV 3101 Nr. 1 angefallen, die damit auch die Tätigkeit im Verfahren auf vorläufige Vollstreckbarerklärung abgilt.[7] Hinzu kommt eine Terminsgebühr nach Anm. zu VV 3202, Anm. Abs. 1 Nr. 1 zu VV 3104. Die Einigungsgebühr bemisst sich nach VV 1000, 1004, weil die weiter gehende Forderung noch anhängig und das Verfahren insoweit noch nicht rechtskräftig abgeschlossen ist; da die Sache aber jetzt im Rechtsmittelverfahren anhängig ist, dürfte eine 1,3-Gebühr nach VV 1004 anfallen. Zu rechnen ist danach wi...

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