Rz. 38

Eine Anrechnung der Verfahrensgebühr ist nach § 15 Abs. 5 S. 2 ausgeschlossen, wenn seit der Beendigung des Mahnverfahrens mehr als zwei Kalenderjahre verstrichen sind.[48] Hiernach gilt die weitere Tätigkeit als neue Angelegenheit, wenn der frühere Auftrag seit mehr als zwei Kalenderjahren erledigt ist. Eine direkte Anwendung dieser Regelung ist ausgeschlossen, weil das Mahnverfahren und das Streitverfahren gebührenrechtlich nicht dieselbe Angelegenheit darstellen (vgl. § 17 Nr. 2). Jedoch hat der Gesetzgeber in § 15 Abs. 5 S. 2 eine Regelung eingefügt, wonach die weitere Tätigkeit als neue Angelegenheit gilt und in diesem Gesetz bestimmte Anrechnungen von Gebühren entfallen sollen. Begründet wird diese Ergänzung des Gesetzestextes damit, dass der Rechtsanwalt sich auch in diesen Fällen wegen des Zeitablaufs in die Angelegenheit wieder neu einarbeiten müsse.[49] Ausdrücklich wird in der Begründung verneinend darauf verwiesen, dass auch sonst vorgesehene Anrechnungen entfallen sollen. Damit dürfte klargestellt sein, dass jegliche Anrechnungen zu unterbleiben haben, wenn der frühere Auftrag seit mehr als zwei Kalenderjahren erledigt ist.

 

Rz. 39

Auch bei einer analogen Anwendung von § 15 Abs. 5 S. 2 findet somit eine Anrechnung der Gebühr nach VV 3307 auf die Verfahrensgebühr nach VV 3100 nicht mehr statt, wenn das Mahnverfahren und der Rechtstreit länger als zwei Kalenderjahre auseinander liegen.

 

Beispiel: Gegen den Mandanten ist im Mai 2016 ein Mahnbescheid i.H.v. 3.000 EUR ergangen. Der Anwalt legt im Juni 2016 hiergegen Widerspruch ein. Im Februar 2021 beantragt der Antragsteller die Durchführung des streitigen Verfahrens.

Eine Anrechnung der Verfahrensgebühr unterbleibt gemäß § 15 Abs. 5 S. 2, da seit der Beendigung des Mahnverfahrens mehr als zwei Kalenderjahre verstrichen sind.

I. Mahnverfahren

Aufstellung (altes Recht)

 
1.

0,5-Verfahrensgebühr, VV 3307

(Wert: 3.000,00 EUR)
  100,50 EUR
2. Auslagenpauschale, VV 7002   20,00 EUR
  Zwischensumme 120,50 EUR  
3. 19 % Umsatzsteuer, VV 7008   22,89 EUR
Gesamt   143,39 EUR

II. Streitiges Verfahren

Aufstellung (neues Recht)

 
1.

1,3-Verfahrensgebühr, VV 3100

(Wert: 3.000,00 EUR)
  288,60 EUR
2.

1,2-Terminsgebühr, VV 3104

(Wert: 3.000,00 EUR)
  266,40 EUR
3. Auslagenpauschale, VV 7002   20,00 EUR
  Zwischensumme 575,00 EUR  
4. 19 % Umsatzsteuer, VV 7008   109,25 EUR
Gesamt   684,25 EUR
 

Rz. 40

Eine Ausnahme besteht allerdings, wenn zwischen Erhebung des Widerspruchs gegen einen Mahnbescheid und Abgabe der Sache an das Gericht des streitigen Verfahrens mehr als zwei Kalenderjahre liegen. Die im Mahnverfahren entstandene Verfahrensgebühr ist anzurechnen.[50]

Das OLG München[51] führt aus, es erscheine nicht fernliegend, in dem Wort "nachfolgenden" auch ein zeitliches Element zu sehen. Diese Auffassung ist abzulehnen. Unterabschnitt 2 Mahnverfahren regelt in VV 3305, dass die Gebühr auf die Verfahrensgebühr für einen nachfolgenden Rechtsstreit angerechnet wird. Die Begründung lautet:[52]

Zitat

"Zu Nummer 3303"

Diese Nummer tritt an die Stelle des § 43 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO. Für die Vertretung des Antragstellers soll der Rechtsanwalt künftig eine Verfahrensgebühr von 1.0 erhalten. Sie soll – wie die derzeitige Gebühr – auf die im nachfolgenden Rechtsstreit entstehenden Gebühren angerechnet werden.“

Nach dem eindeutigen Wortlaut und der Gesetzesbegründung enthält § 15 Abs. 5 S. 2 gerade kein zeitliches Element.

 

Rz. 41

Auch eine analoge Anwendung des § 15 Abs. 5 kommt bei derartigen Fallkonstellationen nicht in Betracht. Nach Ansicht des BGH[53] trifft § 15 Abs. 5 S. 2 keine abschließende Aussage für den Fall der Anfechtung eines Prozessvergleiches. Der Gesetzgeber habe die vorliegende Fallgestaltung in der Vorgängerregelung des § 13 Abs. 5 S. 2 BRAGO nicht berücksichtigt. Auf diese Konstellation werde in der Gesetzesbegründung[54] nicht eingegangen, obwohl sie vom gesetzgeberischen Grundgedanken, dass der Rechtsanwalt sich nach Erledigung des Auftrags aufgrund langer Zeitdauer zwischen Erledigung und Fortsetzung vollkommen neu in die Angelegenheit einarbeiten müsse, erfasst werde. Diese Fallgestaltungen hätten auch bereits vor Schaffung des § 13 Abs. 5 S. 2 BRAGO bestanden, so dass für den jetzt geltenden und insofern inhaltsgleichen § 15 Abs. 5 S. 2 RVG nicht davon ausgegangen werden könne, dass der Gesetzgeber mangels Änderung nunmehr die Aussage getroffen habe, dass es dabei sein Bewenden haben solle. Insbesondere sei dazu in der Gesetzesbegründung nichts ausgeführt.[55] Der Gesetzgeber hat aber auf diese Rechtsprechung reagiert. Ohne das Erfordernis der Erteilung eines neuen Auftrages findet § 15 Abs. 5 S. 2 nach Satz 3 der Vorschrift in der seit dem 1.11.2012 geltenden Fassung des Gesetzes zur Reform des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes und zur Änderung anderer Vorschriften v. 19.10.2012 dann entsprechende Anwendung, wenn ein Vergleich mehr als zwei Kalenderjahre nach seinem Abschluss angefochten wird oder wenn mehr als zwei Kalenderjahre nach Zustellung eines Beschl...

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