Rz. 38

Sämtliche Gebühren der VV 4300 ff. sind anzurechnen, wenn der Anwalt anschließend mit der Vertretung im gesamten Verfahren, sei es als Verteidiger oder als Beistand oder Vertreter des Privat- oder Nebenklägers oder eines sonstigen Verfahrensbeteiligten, beauftragt wird (VV Vorb. 4.3 Abs. 4). Die Vorschrift des VV Vorb. 4.3 Abs. 4 ergänzt die Bestimmungen der VV 4300 ff. und ordnet an, dass die Gebühren nach VV 4300 ff. für Einzeltätigkeiten auf die folgenden Gebühren des Verteidigers oder des Beistands oder Vertreters oder eines Privat- oder Nebenklägers oder sonstigen Beteiligten i.S.d. VV Vorb. 4 Abs. 1 anzurechnen sind. Die vorangegangene(n) Gebühr(en) der VV 4300 ff. geht/gehen dann vollständig in den Gebühren der VV 4300 ff. auf.

 

Beispiel: Der Anwalt wird beauftragt, Strafanzeige zu erstatten. Später erhält er im vorbereitenden Verfahren den Auftrag, die Zulassung der Nebenklage zu beantragen und den Nebenkläger im gesamten Verfahren zu vertreten.

Der Anwalt hat hier zunächst die Gebühr der VV 4302 Nr. 2 verdient. Infolge des Gesamtauftrags ist diese Gebühr auf die Gebühren nach VV 4100, 4104 anzurechnen.

I. Einzelauftrag Strafanzeige

 
1. Gebühr nach VV 4302 Nr. 2   176,00 EUR
2. Postentgeltpauschale, VV 7002   20,00 EUR
  Zwischensumme 196,00 EUR  
3. 19 % Umsatzsteuer, VV 7008   37,24 EUR
Gesamt   233,24 EUR

II. Vorbereitendes Verfahren, Gesamtvertretung

 
1. Grundgebühr, VV 4100   220,00 EUR
2. Verfahrensgebühr, VV 4104   181,50 EUR
3. gem. VV Vorb. 4.3 Abs. 4 anzurechnen   – 176,00 EUR
4. Postentgeltpauschale, VV 7002   20,00 EUR
  Zwischensumme 245,50 EUR  
5. 19 % Umsatzsteuer, VV 7008   46,65 EUR
Gesamt   292,15 EUR
 

Rz. 39

Voraussetzung für eine Anrechnung ist, dass die anzurechnende Einzeltätigkeit zur selben Angelegenheit gehört, in der der Anwalt zur Gesamtvertretung beauftragt worden ist. Ist dies nicht der Fall, muss eine Anrechnung unterbleiben.

 

Beispiel 1: Der Anwalt wird beauftragt, Strafanzeige zu erstatten. Im gerichtlichen Verfahren wird er mit der Vertretung in der Hauptverhandlung beauftragt.

Eine Anrechnung unterbleibt. Die Strafanzeige fällt in das vorbereitende Verfahren. Hier ist der Anwalt jedoch nicht mit der Gesamtvertretung beauftragt worden. Eine Anrechnung scheidet aus. Der Anwalt erhält die Gebühren nach VV 4302 Nr. 2 und nach den VV 4100, 4106 ff. gesondert.

 

Beispiel 2: Der Anwalt wird im erstinstanzlichen Verfahren beauftragt, an einer Zeugenvernehmung vor dem auswärtigen Gericht teilzunehmen. Nach Verurteilung des Auftraggebers erteilt ihm dieser den Auftrag, ihn als Verteidiger im Berufungsverfahren zu vertreten.

Die Wahrnehmung des Termins vor dem ersuchten Richter gehört zum erstinstanzlichen gerichtlichen Verfahren. Dort hatte der Anwalt keinen Auftrag zur Verteidigung erhalten, sondern erst im Berufungsverfahren. Eine Anrechnung unterbleibt daher. Der Anwalt erhält die Gebühren nach VV 4301 Nr. 2 und nach VV 4124 ff. gesondert.

 

Rz. 40

Sind die Voraussetzungen des § 15 Abs. 5 S. 2 gegeben, unterbleibt eine Anrechnung auch dann, wenn es sich ansonsten um dieselbe Angelegenheit handeln würde. Die Vorschrift des § 15 Abs. 5 S. 2 schließt nach Ablauf von zwei Kalenderjahren eine Anrechnung aus.

 

Beispiel: Der Anwalt war im Juli 2018 beauftragt, Strafanzeige gegen den Beschuldigten zu erstatten. Nachdem im Januar 2021 die Ermittlungen abgeschlossen waren, wurde der Anwalt mit der Vertretung des Auftraggebers mandatiert und beauftragt, die Zulassung der Nebenklage zu beantragen.

Zwar würde die Strafanzeige durch die Gebühr aus VV 4100, 4104 mit abgegolten, so dass eine Anrechnung vorzunehmen wäre. Da zwischen der Erteilung der beiden Aufträge jedoch mehr als zwei Kalenderjahre liegen, scheidet eine Anrechnung nach § 15 Abs. 5 S. 2 aus.

 

Rz. 41

Bei der vorzunehmenden Anrechnung ist zu berücksichtigen, dass die Einzelgebühr, die durch die Anrechnung untergeht, im Rahmen der Bemessung der Gesamtgebühr zu berücksichtigen ist. War also im vorgenannten Beispiel für die Strafanzeige eine Mittelgebühr angemessen und wäre auch für die weitere Vertretung für sich genommen eine Mittelgebühr angemessen, dann muss die Gesamtgebühr höher angesetzt werden, da sie die anzurechnende Tätigkeit beinhaltet. Anderenfalls würde die vorangegangene Mehrtätigkeit durch die Einzeltätigkeit völlig untergehen.

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