Rz. 31

Ob der Anwalt auch dann eine Verfahrensgebühr verdienen kann, wenn er vor dem entsprechenden Gericht nicht postulationsfähig ist, ist umstritten. Nach einer Ansicht[35] kann bei "sinnvoller Tätigkeit" des Anwalts das Fehlen der Postulationsfähigkeit unerheblich sein. Nach anderer Ansicht[36] wird die Postulationsfähigkeit für die Entstehung der Verfahrensgebühr unabhängig von der Art der vorgenommenen Tätigkeit verlangt. Der BGH hat sich in seiner Entscheidung vom 1.2.2007[37] der zweiten Meinung angeschlossen und ausgeführt, dass die Gegenansicht zu einem mit den Grundsätzen des Vertragsrechts unvereinbaren Ergebnis gelange, weil sie dem nicht postulationsfähigen Rechtsanwalt ein Entgelt für eine anwaltliche Tätigkeit zuerkenne, die er nicht erfüllen könne. Soweit der Anwalt auch ohne postulationsfähig zu sein, einzelne Tätigkeiten für seinen Auftraggeber ausführen könne, würde dies von VV 3403 erfasst.[38]

 

Rz. 32

Bei dieser Frage muss unterschieden werden zwischen der Entstehung der Gebühr und ihrer Erstattungsfähigkeit. Für die Entstehung der Gebühr reicht es aus, wenn der Anwalt mit der Führung des Verfahrens beauftragt wurde und eine entsprechende Tätigkeit ausgeführt hat. Ob ein solcher Verfahrensauftrag vorliegt, ist durch Auslegung zu entscheiden, wobei allein die Willenserklärungen der beteiligten Parteien (Anwalt und Mandant), nicht aber rechtliche Zulässigkeitserwägungen eine Rolle spielen dürfen. Schon diese Auslegung wird in der Rechtsprechung jedoch nicht immer konsequent durchgeführt.

 

Beispiel: In seinem Beschl. v. 4.5.2006[39] hatte der 3. Zivilsenat des BGH einen Verfahrensauftrag verneint, obwohl der Mandant dem Anwalt den Auftrag erteilt hatte "alles zu tun, um die Rücknahme der Nichtzulassungsbeschwerde sofort zu erreichen". Der Senat ließ den umfassenden Verfahrensauftrag maßgeblich daran scheitern, dass der betreffende Anwalt beim BGH nicht zugelassen war. Diese Argumentation ist jedoch nicht stichhaltig, denn für den Umfang des Auftrags kommt es allein darauf an, was zwischen Anwalt und Mandant vereinbart wurde und nicht darauf, welche konkreten Tätigkeiten der Anwalt dann rechtlich zulässigerweise hätte ausführen können. Angesichts der im Streitfall gewählten Formulierung "alles zu tun ..." wäre es interessant zu erfahren, bei Verwendung welcher Worte der BGH denn von einem umfassenden Auftrag ausgegangen wäre. Mehr als "alles zu tun", geht kaum.

 

Rz. 33

Das OLG Frankfurt unterliegt in seinem Beschl. v. 24.6.2008[40] zwar demselben Fehler wie der BGH, weil es vom Umfang der Postulationsfähigkeit des Anwalts auf den Inhalt des ihm erteilten Auftrages zurückschließt – ganz nach dem Motto: Was ein Anwalt rechtlich nicht tun darf, damit kann man ihn auch nicht beauftragen! Im Ergebnis ist die Auslegung allerdings nicht zu beanstanden, denn da der Anwalt zunächst nur die Aussichten der von der Gegenseite eingelegten Nichtzulassungsbeschwerde prüfen sollte, ohne selbst gegenüber dem BGH tätig zu werden, kam kein umfassender Verfahrensauftrag, sondern nur ein Auftrag zu einer Einzeltätigkeit (VV 3403) oder zur Prüfung der Erfolgsaussicht eines Rechtsmittels (VV 2100) in Betracht.

 

Rz. 34

Ob dem Gebührenanspruch möglicherweise wegen subjektiver Unmöglichkeit eine dauerhafte Einrede entgegensteht, ist für die Entstehung der Gebühr unbeachtlich. Insofern greift auch die Kritik des BGH in seiner Entscheidung vom 1.2.2007 zu kurz: Dem Anwalt entsteht gerade nicht – unter dem beanstandeten Verstoß gegen die Grundsätze des Vertragsrechts – ein Gebührenanspruch für einen Auftrag, den er subjektiv nicht erfüllen kann. Sondern es entsteht nach den Tatbestandsvoraussetzungen des Vergütungsverzeichnisses zunächst die Verfahrensgebühr und erst in einem zweiten Schritt ist zu prüfen, ob diese – im Hinblick auf mögliche Einreden – vom eigenen Mandanten bzw. – im Hinblick auf die Notwendigkeit i.S.d. § 91 ZPO – vom unterlegenen Gegner verlangt werden kann. In der Praxis wird sich dieses Problem aufgrund des Umstandes, dass die Anwälte aufgrund der Neufassung des § 78 ZPO bei allen Landgerichten postulationsfähig sind, jedenfalls in erster Instanz nicht mehr stellen.

 

Rz. 35

Bei der sich anschließenden Frage der Erstattungsfähigkeit einer solchen Gebühr ist der Grundsatz zu beachten, dass Kosten, die durch eine überflüssige oder zwecklose Prozessmaßnahme verursacht worden sind, nicht erstattungsfähig sind. Die Tätigkeit eines nicht postulationsfähigen Anwalts kann jedoch nicht generell als überflüssig oder zwecklos eingestuft werden. Vielmehr ist für die Beurteilung dieser Frage – und damit auch für die Frage der Erstattungsfähigkeit der Gebühren – auf den konkreten Verfahrensverlauf abzustellen. Zutreffend weist das OLG Frankfurt[41] darauf hin, dass es dem Rechtsmittelgegner frei steht, einen Anwalt zu beauftragen, sobald das Rechtsmittel eingelegt ist. Soweit neben diesem beratend und prüfend tätigen Rechtsanwalt nicht noch ein weiterer (postulationsfähiger) Anwalt für das Rechtsmittelverfahren beauftragt...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge