Rz. 19

Die Verbindlichkeit einer Vergütungsvereinbarung ist zivilrechtlich auch an dem Gebührenunterschreitungsverbot des § 49b Abs. 1 S. 1 BRAO zu messen. Es soll das RVG als staatliches Tarifgesetz schützen und einen "Preiswettbewerb um Mandate"[23] verhindern. Wegen seiner wettbewerbsbeschränkenden Funktion steht das Gebührenunterschreitungsverbot in der Kritik. Das 16. Hauptgutachten der Monopolkommission vom 5.7.2006[24] fordert die ersatzlose Streichung des § 49b Abs. 1 BRAO. Die Bundesregierung hat in ihrer Stellungnahme zu dem Gutachten der Monopolkommission[25] die hohe Bedeutung des gegenwärtigen Gebührensystems für den Zugang zum Recht betont und ihre Befürchtung geäußert, eine – nicht erwiesene – Senkung der Preise durch eine Aufhebung des § 49b Abs. 1 BRAO werde zu einer Qualitätseinbuße bei der anwaltlichen Mandatsbearbeitung führen. Nach dem Urteil des EuGH vom 5.12.2006 zu anwaltlichen Mindestgebühren[26] obliegt es indes den deutschen Gerichten, zu prüfen, ob das in § 49b Abs. 1 BRAO normierte Verbot durch Belange des Allgemeinwohls, etwa das Kostenerstattungsprinzip, gerechtfertigt ist. In diesem Sinne hat das BVerfG in seinem Beschl. v. 13.2.2007[27] – mithin in Kenntnis der EuGH-Entscheidung – die hohe Bedeutung von gesetzlichen Mindestgebühren für das Gemeinwohl unterstrichen. Sie schützten im Interesse der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege die Anwaltschaft. Auch angesichts der starken Konkurrenz auf dem Rechtsberatungsmarkt solle kein Anreiz bestehen, die gesetzlich vorgesehenen Mindestgebühren zu unterschreiten. Überdies diene das gesetzliche Vergütungssystem dem Schutz der Rechtsuchenden. Ihnen sei es regelmäßig nicht möglich, den für die anwaltliche Tätigkeit erforderlichen Aufwand selbst zu beurteilen und danach die anfallende Vergütung des Anwalts selbst zu berechnen. Vor diesem Hintergrund dürfte das Gebührenunterschreitungsverbot des § 49b Abs. 1 BRAO weiterhin Bestand haben, zumal das deutsche Tarifsystem unlängst durch die ersatzlose Streichung der gesetzlichen Beratungsgebühren und die Möglichkeit der Vereinbarung eines Erfolgshonorars im Einzelfall in zwei Kernbereichen anwaltlicher Vergütung dereguliert wurde. Nach dem Inkrafttreten der EU-Dienstleistungsrichtlinie[28] wird sich gemäß Art. 15 Abs. 2g RL das deutsche Vergütungsrecht freilich dem Normenscreening stellen müssen; das zuständige BMWi hat bereits angekündigt, das RVG in dieser Hinsicht überprüfen zu wollen.[29]

 

Rz. 20

Vereinbart der Anwalt mit dem Auftraggeber eine niedrigere als die gesetzliche Vergütung, so verstößt diese Vereinbarung gegen § 49b Abs. 1 S. 1 BRAO. Da diese Norm ein gesetzliches Verbot i.S.d. § 134 BGB darstellt, ist die Vergütungsvereinbarung nichtig.[30] Die Nichtigkeitsfolge lässt gemäß § 139 BGB die Wirksamkeit des Mandatsvertrages unberührt.[31] Neben der zivilrechtlichen Nichtigkeitsanordnung muss der Rechtsanwalt bei einem Verstoß gegen § 49b Abs. 1 BRAO auch mit wettbewerbsrechtlichen Konsequenzen rechnen. Die Vorschrift stellt eine Marktverhaltensregel i.S.d. § 4 Nr. 11 UWG dar.[32] Schließlich sanktioniert das anwaltliche Berufsrecht den Verstoß gegen § 49b Abs. 1 BRAO. Der betroffene Anwalt muss bei einem wissentlichen Verstoß zumindest mit einer Rüge nach § 74 Abs. 1 BRAO rechnen.

 

Rz. 21

Ein Verstoß gegen das Gebührenunterschreitungsverbot kann sich für den Anwalt auch durch die Abrechnung nach den Gebührensätzen eines "Rationalisierungsabkommens" ergeben. Zahlreiche Rechtschutzversicherer haben die Reform des anwaltlichen Vergütungsrechts im Jahr 2004 zum Anlass genommen, Rechtsanwälten Vorschläge für den Abschluss einer generellen Gebührenvereinbarung zu unterbreiten.[33] Gegenstand dieser Vereinbarung ist die Festlegung bestimmter Gebühren für den gesamten außergerichtlichen Bereich, sofern streitgegenstandswertabhängige Gebühren anfallen, sowie für Ordnungswidrigkeiten- und Strafverfahren. Sofern die vorgeschlagenen Gebühren für die forensische Tätigkeit unter den gesetzlichen Gebühren des RVG liegen, etwa bei der Verteidigung in Straf- und Bußgeldsachen, stellt die Unterzeichnung einer derartigen Gebührenvereinbarung für den Anwalt einen berufsrechtlichen Verstoß gegen § 49b Abs. 1 BRAO dar. Daraus folgt zugleich die zivilrechtliche Nichtigkeit der Vereinbarung gemäß § 134 BGB.[34]

 

Rz. 22

Der Vergütungsanspruch des Anwalts sieht sich im Falle eines Verstoßes gegen § 49b Abs. 1 S. 1 BGB der Einrede des § 242 BGB ausgesetzt.[35] Denn könnte der Anwalt alternativ zu der – unwirksam vereinbarten – niedrigeren Vergütung nunmehr die taxmäßige Vergütung nach § 612 Abs. 2 BGB verlangen, würde er exakt die gesetzlichen Gebühren geltend machen, auf die er ursprünglich unter Verstoß gegen das Gebührenunterschreitungsverbot verzichtet hatte.[36]

 

Rz. 23

Eine Durchbrechung des Gebührenunterschreitungsverbots ist nach § 49b Abs. 1 S. 1 BRAO nur möglich, soweit das RVG dies ausdrücklich vorsieht. Die wichtigste Ausnahme in diesem Sinne findet sich in § 4 Abs. 1, wonach im außergerichtlichen Bereich V...

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