Rz. 51

Für die Qualifikation als Gutachten ist allein sein Inhalt entscheidend. Die Bezeichnung "Gutachten" ist hingegen nicht zwingend erforderlich. Als Essentialia eines Gutachtens gelten

die schriftliche Abfassung,
eine geordnete Darstellung des zu beurteilenden Sachverhalts,
die Herausstellung der rechtlichen Probleme,
eine Stellungnahme zu Rechtsprechung und Schrifttum, die sich mit den rechtlich relevanten Problemen befasst, sowie
ein eigenes Urteil, wie die einzelnen Stimmen aus Rechtsprechung und Literatur zu würdigen sind, insbesondere welche Konsequenzen sich für den konkreten Fall ergeben.

(1) Schriftlichkeit

 

Rz. 52

Das Gutachten muss nach dem ausdrücklichen Wortlaut des Abs. 1 S. 1 schriftlich erstellt sein. Eine mündliche oder fernmündliche Äußerung reicht selbst dann nicht, wenn sie höchst wissenschaftliche Ausführungen enthält und das Ergebnis einer ausführlichen Prüfung und Recherche ist.[59]

 

Rz. 53

Das Schriftlichkeitserfordernis ist nicht gleichbedeutend mit dem Schriftformerfordernis nach §§ 126 ff. BGB. Ihm kommt keine Warnfunktion zugunsten des Auftraggebers zu. Daher ist eine Versendung des Gutachtenoriginals in schriftlicher Form nicht erforderlich. Die Weitergabe des Gutachteninhalts per Telefax, nicht digital signierter E-Mail oder per Datenträger (DVD, CD, Diskette, USB-Stick) ist ausreichend, wenn der Auftraggeber in der Lage ist, so das Gutachten schriftlich herzustellen.

[59] Hartmann/Toussaint, § 34 RVG Rn 15; Hansens/Braun/Schneider, Teil 8 Rn 46.

(2) Geordnete Darstellung des zu beurteilenden Sachverhalts

 

Rz. 54

Erforderlich ist zudem eine geordnete Darstellung des Sachverhalts, welcher der rechtlichen Würdigung im Gutachten zugrunde liegt. Je nach Aufgabenstellung können auch verschiedene Sachverhalte zugrunde liegen. Sind etwa bestimmte Tatsachen streitig, muss insoweit eine Sachverhaltsalternativität deutlich gemacht werden.

 

Rz. 55

Das Erfordernis einer geordneten Sachverhaltsdarstellung dient der Fixierung der der juristischen Subsumtion zugrunde liegenden Tatsachen. Der Leser soll einwandfrei nachvollziehen können, von welcher tatsächlichen Grundlage der Gutachter ausgegangen ist. So soll die Wiedergabe des Sachverhalts auch die Überprüfung des Gutachtens ermöglichen.

(3) Herausstellung der rechtlichen Probleme

 

Rz. 56

Die zum Gutachtenthema veröffentlichte Judikatur und Literatur ist ein weiteres, unverzichtbares Merkmal eines Gutachtens nach Abs. 1 S. 1. Dabei muss sich der Anwalt auch mit Gegenmeinungen auseinander setzen. Abwegige und überholte Auffassungen können dabei durchaus vernachlässigt werden. Je nach Fragestellung des Auftraggebers kann es auch genügen, sich ausschließlich mit der Rechtsprechung auseinander zu setzen, etwa wenn die Literaturmeinungen in der Praxis keine Bedeutung haben.

 

Rz. 57

Die Angabe von Fundstellen einschlägiger Judikate und Veröffentlichungen ist nicht zwingend erforderlich. Sie bietet jedoch ein Indiz dafür, dass der Anwalt sich mit Rechtsprechung und Literatur auseinander gesetzt hat.[60] Einen Anscheinsbeweis im Rechtssinne ergibt die Anführung von Fundstellen als solche indes noch nicht.[61]

[60] OLG Karlsruhe BB 1976, 334; OLG München JurBüro 1999, 298.
[61] Zutreffend Hartmann/Toussaint, § 34 RVG Rn 19.

(4) Eigene Stellungnahme des Anwalts

 

Rz. 58

Erforderlich ist ferner eine eigene Stellungnahme des Anwalts.[62] Fehlt sie, liegt kein Gutachten vor, sondern lediglich eine Auskunft. Eine bloße Bestandsaufnahme und Wiedergabe der veröffentlichten Rechtsprechung und Literatur reicht daher nicht aus. Erforderlich sind vielmehr auch Ausführungen dazu, wie sich die Rechtsprechung und die in der Literatur vertretenen Auffassungen auf die Beantwortung der zu begutachtenden Frage auswirken und welche Auffassung der Anwalt aus welchen Gründen für zutreffend hält. Das Erfordernis einer eigenen Stellungnahme darf allerdings nicht überstrapaziert werden. So braucht der Anwalt dann keine eigene Stellungnahme abzugeben, wenn die verschiedenen Lösungen zum selben Ergebnis führen. Ebenso kann es ausreichen, wenn der Anwalt darauf hinweist, dass die Frage offen ist und eine verbindliche klare Entscheidung nicht getroffen werden kann. Der Auftraggeber muss dann allerdings dem Gutachten die Gründe hierfür entnehmen können.

 

Rz. 59

Das Gutachten muss eine juristische Begründung enthalten.[63] Dies bedeutet jedoch lediglich, dass die Rechtslage Anknüpfungspunkt sein muss. Das Schwergewicht des Gutachtens kann im Einzelfall auch in nicht-juristischen Bereichen liegen, etwa wenn der Anwalt sich bei der Begutachtung einer Arzthaftungsfrage mit medizinischen Problemen auseinander zu setzen hat.

 

Rz. 60

Das Gutachten muss grundsätzlich unparteiisch sein.[64] Der Anwalt hat sich stets vor Augen zu halten, dass sein Auftraggeber eine objektive Aufklärung über die bestehende Rechtslage wünscht. Er darf sich daher nicht von Parteiinteressen oder Zweckmäßigkeitserwägungen leiten lassen.

[62] OLG Karlsruhe BB 1976, 334; OLG München JurBüro 1999, 298; Gerold/Schmidt/Mayer, § 34 Rn 26.
[63] Mayer/Kroiß/Winkler, VV 2103 a.F. Rn 9; Hansens/Braun/Schneider, Teil 8 Rn 47.
[64] Bischof/Jungbauer/Bischof, RVG, § 34 Rn 38 ff.; Gerold/Sch...

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