Rz. 45

Über die Beratung hinaus dereguliert Abs. 1 S. 1 auch die Ausarbeitung eines schriftlichen Gutachtens. Es ist keine gesetzliche Gebühr – weder in konkreter Höhe, noch als angemessene Gebühr – vorgesehen. Vielmehr soll der Rechtsanwalt eine Gebührenvereinbarung abschließen.

 

Rz. 46

Der Auftrag zur Gutachtenerstellung ist ein Werkvertrag nach § 631 BGB.[54]

[54] BGH 20.10.1964 – VI ZR 101/63, NJW 1965, 106; LG Hamburg AnwBl 1975, 237; OLG Köln MDR 1980, 667; Hansens, BRAGO, § 21 Rn 1; Palandt/Sprau, BGB, § 631 Rn 24 m.w.N.

aa) Auftrag; Abgrenzung zur Beratung

 

Rz. 47

Bei der Übernahme des Mandats sollte sich der Anwalt unbedingt versichern, dass der Auftrag des Mandanten auf die Ausarbeitung eines schriftlichen Gutachtens gerichtet ist. Die Unterscheidung zwischen gutachtlicher und beratender Tätigkeit ist bereits mit Blick auf die Anrechnungsvorschrift des Abs. 2 von großer Bedeutung. Sie gilt nur für die Beratung, nicht aber für die Gutachtertätigkeit (siehe Rdn 133). Im Zweifel ist lediglich von einem Beratungsauftrag auszugehen.[55]

 

Rz. 48

Schwierig kann im Einzelfall die Abgrenzung zwischen einem schriftlichen Gutachten und einem schriftlichen Rat i.S.d. Abs. 1 S. 1 sein. Ein Rat braucht indes nur kurz begründet zu sein; überdies formuliert er regelmäßig eine konkrete Verhaltensempfehlung für den Mandanten. Das Gutachten enthält demgegenüber eine umfassende Würdigung der Sach- und Rechtslage. Im Gegensatz zum Rat wird dem Mandanten nicht nur das Ergebnis einer rechtlichen Prüfung kommuniziert; er erfährt vielmehr auch, mit welchen Überlegungen der Anwalt zu einem bestimmten Ergebnis gelangt ist.[56]

 

Rz. 49

Abzugrenzen ist das Gutachten i.S.v. Abs. 1 S. 1 weiterhin von der gutachtlichen Äußerung des Verkehrsanwalts nach der Anm. zu VV 3400. An diese Äußerung sind nach Umfang und Inhalt geringere Anforderungen zu stellen. Zudem richtet sich die gutachtliche Äußerung an den Rechtsmittelanwalt, während das Gutachten sich an den Auftraggeber richtet, um ihm eine Entscheidungshilfe zu geben.[57]

 

Rz. 50

Auf die auftragsgemäße Anfertigung eines wissenschaftlichen Aufsatzes mit einem "bestellten" Ergebnis hat das OLG Naumburg die Regelung des § 34 Abs. 1 entsprechend angewandt.[58] Richtet sich der dem Anwalt erteilte Auftrag auf die Anfertigung eines Gutachtens über die Erfolgsaussichten eines Rechtsmittels, wird die allgemeine Regelung des Abs. 1 S. 1 durch die Spezialvorschriften der VV 2101, 2103 verdrängt (siehe dazu Rdn 83 ff.).

[55] Vgl. Gerold/Schmidt/Mayer, § 34 Rn 24.
[56] OLG München JurBüro 1992, 103; Bischof/Jungbauer/Bischof, RVG, § 34 Rn 37; Gerold/Schmidt/Mayer, § 34 Rn 25; Schalhorn, JurBüro 1972, 379.
[57] OLG Köln JurBüro 1978, 870; Hansens, BRAGO, § 21 Rn 1.

bb) Anforderungen

 

Rz. 51

Für die Qualifikation als Gutachten ist allein sein Inhalt entscheidend. Die Bezeichnung "Gutachten" ist hingegen nicht zwingend erforderlich. Als Essentialia eines Gutachtens gelten

die schriftliche Abfassung,
eine geordnete Darstellung des zu beurteilenden Sachverhalts,
die Herausstellung der rechtlichen Probleme,
eine Stellungnahme zu Rechtsprechung und Schrifttum, die sich mit den rechtlich relevanten Problemen befasst, sowie
ein eigenes Urteil, wie die einzelnen Stimmen aus Rechtsprechung und Literatur zu würdigen sind, insbesondere welche Konsequenzen sich für den konkreten Fall ergeben.

(1) Schriftlichkeit

 

Rz. 52

Das Gutachten muss nach dem ausdrücklichen Wortlaut des Abs. 1 S. 1 schriftlich erstellt sein. Eine mündliche oder fernmündliche Äußerung reicht selbst dann nicht, wenn sie höchst wissenschaftliche Ausführungen enthält und das Ergebnis einer ausführlichen Prüfung und Recherche ist.[59]

 

Rz. 53

Das Schriftlichkeitserfordernis ist nicht gleichbedeutend mit dem Schriftformerfordernis nach §§ 126 ff. BGB. Ihm kommt keine Warnfunktion zugunsten des Auftraggebers zu. Daher ist eine Versendung des Gutachtenoriginals in schriftlicher Form nicht erforderlich. Die Weitergabe des Gutachteninhalts per Telefax, nicht digital signierter E-Mail oder per Datenträger (DVD, CD, Diskette, USB-Stick) ist ausreichend, wenn der Auftraggeber in der Lage ist, so das Gutachten schriftlich herzustellen.

[59] Hartmann/Toussaint, § 34 RVG Rn 15; Hansens/Braun/Schneider, Teil 8 Rn 46.

(2) Geordnete Darstellung des zu beurteilenden Sachverhalts

 

Rz. 54

Erforderlich ist zudem eine geordnete Darstellung des Sachverhalts, welcher der rechtlichen Würdigung im Gutachten zugrunde liegt. Je nach Aufgabenstellung können auch verschiedene Sachverhalte zugrunde liegen. Sind etwa bestimmte Tatsachen streitig, muss insoweit eine Sachverhaltsalternativität deutlich gemacht werden.

 

Rz. 55

Das Erfordernis einer geordneten Sachverhaltsdarstellung dient der Fixierung der der juristischen Subsumtion zugrunde liegenden Tatsachen. Der Leser soll einwandfrei nachvollziehen können, von welcher tatsächlichen Grundlage der Gutachter ausgegangen ist. So soll die Wiedergabe des Sachverhalts auch die Überprüfung des Gutachtens ermöglichen.

(3) Herausstellung der rechtlichen Probleme

 

Rz. 56

Die zum Gutachtenthema veröffentlichte Judikatur und Literatur ist ein weiteres, unverzichtbares Merkmal eines Gu...

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