aa) Überblick

 

Rz. 75

Ein besonderes Anrechnungsproblem ergab sich, wenn mehrere Gebühren aus verschiedenen einzelnen außergerichtlichen Angelegenheiten auf eine einheitliche Verfahrensgebühr anzurechnen waren. Nach einer Auffassung, die vom BGH[26] vertreten wurde, sollten alle Gebühren bis zur Höhe der Gebühr angerechnet werden, auf die anzurechnen war. Das konnte im Extremfall dazu führen, dass die Gebühr, auf die anzurechnen war, infolge der Anrechnung völlig unterging. Nach a.A., die vom OVG Nordrhein-Westfalen[27] und vom OLG Koblenz[28] vertreten wurde, sollte in diesem Fall zwar auch jede Gebühr angerechnet werden; in analoger Anwendung des § 15 Abs. 3 sollte jedoch nicht mehr angerechnet werden als ein Betrag nach dem höchsten anzurechnenden Satz aus dem Gesamtwert der einzelnen Angelegenheiten. Diese Streitfrage ist zwischenzeitlich im Sinne der zweiten Auffassung durch den neuen Abs. 2 gesetzlich geklärt. Solche Konstellationen können in verschiedenen Fällen auftreten.

[27] OVG Nordrhein-Westfalen 17.7.2017 – 19 E 614/16, AGS 2017, 497 = RVGreport 2017, 381.
[28] OLG Koblenz 24.9.2008 – 14 W 590/08, AGS 2009, 167 m. Anm. N. Schneider = JurBüro 2009, 304.

bb) Mehrere Auftraggeber

 

Rz. 76

Vertritt der Anwalt zunächst mehrere Auftraggeber gesondert, kommt es dann aber zu einer einheitlichen nachfolgenden Angelegenheit, sind alle Gebühren anzurechnen, nach Abs. 2 jedoch nicht mehr als eine Gebühr aus dem Gesamtwert, berechnet nach dem höchsten anzurechnenden Gebührensatz.[29]

 

Beispiel: Der Anwalt wird beauftragt, für den Mandanten A eine angebliche Forderung des C in Höhe von 5.000 EUR außergerichtlich abzuwehren. Später erhält er von B den Auftrag, ebenfalls eine angebliche Forderung des C gegen ihn in Höhe von 10.000 EUR abzuwehren. Anschließend werden A und B von C in einem gemeinsamen Prozess verklagt. Der Anwalt wird in diesem Prozess von A und B beauftragt.

Angefallen sind zwei Geschäftsgebühren, eine gegenüber dem A aus 5.000 EUR und eine gegenüber dem B aus 10.000 EUR. Im gerichtlichen Verfahren entsteht dagegen einheitlich nur eine 1,3-Verfahrensgebühr aus dem Gesamtwert von 15.000 EUR (§ 23 Abs. 1 S. 1 RVG i.V.m. § 39 Abs. 1 GKG).

Anzurechnen sind jetzt zwar beide Geschäftsgebühren zur Hälfte, jedoch nach Abs. 2 nicht mehr als die halbe Geschäftsgebühr aus dem Gesamtwert.

 
I. Außergerichtliche Tätigkeit (Wert: 8.000 EUR)    
1. 1,3-Geschäftsgebühr, VV 2300   652,60 EUR
2. Postentgeltpauschale, VV 7002   20,00 EUR
  Zwischensumme 672,60 EUR  
3. 19 % Umsatzsteuer, VV 7008   127,79 EUR
Gesamt   800,39 EUR
II. Außergerichtliche Tätigkeit (Wert: 10.000 EUR)    
1. 1,3-Geschäftsgebühr, VV 2300   798,20 EUR
2. Postentgeltpauschale, VV 7002   20,00 EUR
  Zwischensumme 818,20 EUR  
3. 19 % Umsatzsteuer, VV 7008   155,46 EUR
Gesamt   973,66 EUR
III. Rechtsstreit (Wert: 18.000 EUR)    
1. 1,3-Verfahrensgebühr, VV 3100   1.001,00 EUR
2. gem. VV Vorb. 3 Abs. 4 anzurechnen    
  – 0,65 aus 8.000 EUR – 326,30 EUR  
  – 0,65 aus 10.000 EUR – 399,10 EUR  
  gem. Abs. 2 RVG nicht mehr als 0,65 aus 18.000 EUR   – 500,50 EUR
3. 1,2-Terminsgebühr, VV 3104   924,00 EUR
4. Postentgeltpauschale, VV 7002   20,00 EUR
  Zwischensumme 1.444,50 EUR  
5. 19 % Umsatzsteuer, VV 7008   274,46 EUR
Gesamt   1.718,96 EUR
[29] OLG Koblenz 24.9.2008 – 14 W 590/08, AGS 2009, 167 m. Anm. N. Schneider = JurBüro 2009, 304.

cc) Klage und Widerklage

 

Rz. 77

Das gleiche Problem kann bei Klage und Widerklage auftreten. Auch dann können vorgerichtlich mehrere Geschäftsgebühren angefallen sein, die im Rechtsstreit anzurechnen sind. Auch dann ist Abs. 2 zu beachten.

 

Beispiel: Der Anwalt wird beauftragt, für den Mandanten eine Forderung von 8.000 EUR außergerichtlich gegen den B geltend zu machen. Später erhält er den Auftrag, eine Forderung des B gegen den Mandanten in Höhe von 10.000 EUR abzuwehren. Anschließend werden die 5.000 EUR eingeklagt. Der B erhebt Widerklage auf Zahlung der 10.000 EUR.

Angefallen sind zwei Geschäftsgebühren, eine aus 8.000 EUR und eine aus 10.000 EUR. Im gerichtlichen Verfahren entsteht dagegen einheitlich eine 1,3-Verfahrensgebühr aus dem Gesamtwert von 18.000 EUR (§ 23 Abs. 1 S. 1 RVG i.V.m. § 45 Abs. 1 S. 1 GKG). Anzurechnen sind die beiden Geschäftsgebühren, jedoch nach Abs. 2 nicht mehr als die halbe Geschäftsgebühr aus dem Gesamtwert.

 
I. Außergerichtliche Tätigkeit (Wert: 8.000 EUR)    
1. 1,3-Geschäftsgebühr, VV 2300   652,60 EUR
2. Postentgeltpauschale, VV 7002   20,00 EUR
  Zwischensumme 672,60 EUR  
3. 19 % Umsatzsteuer, VV 7008   127,79 EUR
Gesamt   800,39 EUR
II. Außergerichtliche Tätigkeit (Wert: 10.000 EUR)    
1. 1,3-Geschäftsgebühr, VV 2300   798,20 EUR
2. Postentgeltpauschale, VV 7002   20,00 EUR
  Zwischensumme 818,20 EUR  
3. 19 % Umsatzsteuer, VV 7008   155,46 EUR
Gesamt   973,66 EUR
III. Rechtsstreit (Wert: 18.000 EUR)    
1. 1,3-Verfahrensgebühr, VV 3100   1.001,00 EUR
2. gem. VV Vorb. 3 Abs. 4 anzurechnen    
  – 0,65 aus 8.000 EUR – 326,30 EUR  
  – 0,65 aus 10.000 EUR – 399,10 EUR  
  gem. Abs. ...

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