Rz. 12

Die Rüge muss binnen einer Frist von zwei Wochen ab Kenntnis von der Verletzung des rechtlichen Gehörs erhoben werden; der Zeitpunkt der Kenntniserlangung ist glaubhaft zu machen (§ 12a Abs. 2 S. 1). Zur Kenntnis gehört auch das Kennenmüssen.[15] Auf die Zustellung einer Entscheidung kommt es nicht an. Der Zugang einer Entscheidung ist nicht aus sich heraus mit der Kenntnis bzw. dem Kennenmüssen von einer Gehörsverletzung gleichzusetzen, mögen gleichwohl die Zeitpunkte auch oftmals zusammenfallen können. Denn die erstmalige Kenntnis von der Gehörsverletzung wird sich in aller Regel aus den Entscheidungsgründen ergeben.[16]

 

Rz. 13

Nach Ablauf eines Jahres seit Bekanntgabe der angegriffenen Entscheidung kann die Rüge nicht mehr erhoben werden (§ 12a Abs. 2 S. 2; Ausschlussfrist). Formlos mitgeteilte Entscheidungen gelten mit dem dritten Tage nach Aufgabe zur Post als bekannt gegeben (§ 12a Abs. 2 S. 3). Die Bekanntgabefiktion ist nicht widerlegbar.[17] Indes definiert das RVG eine Aufgabe zur Post nicht. Zudem ist die formlose Übersendung nicht mit einer Aufgabe zur Post gleichzusetzen.

 

Rz. 14

Die Bekanntgabefiktion des § 12a Abs. 2 S. 3 gilt nicht auch für die Zwei-Wochen-Frist des § 12a Abs. 2 S. 1. Die Zwei-Wochen-Frist beginnt allein mit der subjektiven Kenntnis.[18] Ein gegenteiliges Verständnis verstößt nach Ansicht des BVerfG gegen das Recht auf effektiven Rechtsschutz in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip und dem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs.[19]

 

Rz. 15

Ist die zugegangene Entscheidung nicht mit Gründen versehen oder bieten diese keine greifbaren Anhaltspunkte für eine Gehörsverletzung, kommt es für den Fristbeginn zunächst darauf an, wann der Betroffene die Umstände, auf die er seine Gehörsrüge stützt, erstmalig in Erfahrung gebracht hat oder in zumutbarer Weise hätte in Erfahrung bringen können. Auch das ist glaubhaft zu machen (vgl. Abs. 2 S. 1). Sowohl wegen denkbarer Informationshindernisse als auch zur Durchführung eigener Nachforschungen des Betroffenen wird diesem mit Abs. 2 S. 2 die Möglichkeit eingeräumt, derartige Umstände bis zum Ablauf eines Jahres seit Bekanntmachung der Entscheidung zu ermitteln. Erlangt er seine Kenntnis erst innerhalb der letzten 14 Tage des laufenden Jahres, verkürzt sich allerdings seine Rügefrist entsprechend, weil eine Rüge nach Ablauf der absoluten Jahresfrist in jedem Fall unzulässig ist.

 

Rz. 16

Für den Beginn der Rügefrist ist nicht die Kenntnis oder das Kennenmüssen eines Sachverhalts entscheidend, sondern (auch) die rechtliche Schlussfolgerung des Betroffenen, dass sich aus den bekannt gewordenen Umständen eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ergebe.

[15] Treber, NJW 2005, 97, 99; Bepler, RdA 2005, 65, 66; krit. die Stellungnahme des Bundesrats in BT-Drucks 15/3966, S. 6, unter Hinweis darauf, dass neuere Vorschriften wie z.B. § 199 BGB zwischen Kenntnis und Kennenmüssen ausdrücklich differenzieren; a.A.: BAG NJW 2006, 2346; Rensen, MDR 2005, 181, 183; Guckelberger, NVwZ 2005, 11, 14.
[16] Vgl. BGH 11.5.2006 – IX ZR 171/03, FamRZ 2006, 1029.
[17] Vgl. Treber, NJW 2005, 97, 99; Piekenbrock, AnwBl. 2005, 125, 126; Rensen, MDR 2005, 181, 184.

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