Entscheidungsstichwort (Thema)

Duldungspflicht von Ent- und Versorgungsleitungen: Notleitungsrecht durch ein Gebäude

 

Normenkette

BGB § 917 Abs. 1, § 918 Abs. 2; GG Art. 13

 

Nachgehend

BGH (Urteil vom 26.01.2018; Aktenzeichen V ZR 47/17)

 

Tenor

Auf die Berufung der Kläger wird das Urteil des Einzelrichters der 6. Zivilkammer des Landgerichts Kiel vom 10.05.2016 abgeändert:

Der Beklagte wird verurteilt, das auf seinem Grundstück befindliche Leitungszubehör der den Klägern gehörenden Grundstücke sowie dessen notwendige Unterhaltung und erforderlichenfalls Neuanlage durch oder im Auftrag der Kläger mit Ausnahme der Leitung (Entwässerungsanlage) zu dulden, die Gegenstand des im Grundbuch Abteilung 2, laufende Nr. 4 eingetragenen Rechts ist. Die Pflicht zur Duldung des Betretens des oben bezeichneten Grundstücks des Beklagten besteht dabei nur nach einer 48-stündigen Ankündigungsfrist und beschränkt auf den Zeitraum von 8:00 bis 18:00 Uhr an Werktagen, es sei denn, es liegt Gefahr im Verzug vor.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Kläger je 5 %, 90 % trägt der Beklagte.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Parteien dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils gegen sie vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die vollstreckende Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweiligen Vollstreckungsbetrages leistet.

Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.

Der Gegenstandswert wird auf 6 000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Parteien streiten um Notleitungsrechte.

Die Kläger sind Eigentümer der bebauten Grundstücke ...straße (Flurstück 1) und ...Chaussee (Flurstück 2) in K. Der Beklagte ist Eigentümer des bebauten Grundstücks ...Chaussee ..., Flurstück 3 Die Grundstücke waren Teil eines gemeinsamen Ursprungsgrundstücks, Grundbuch von ..., Bd. 7, Blatt 300, Eigentümer B.. Dieser teilte das Grundstück im Jahr 1977. Die Kläger erwarben einen Grundstücksteil, nämlich die Flurstücke 1 und 2, im Jahr 2002 und teilten diesen wiederum in zwei Grundstücke. Beide Grundstücke der Kläger haben keine direkte Verbindung zu einer öffentlichen Straße. Das Gebäude auf dem Grundstück des Beklagten erstreckt sich über die gesamte Grundstücksbreite. Die Ver- und Entsorgungsleitungen zu den Grundstücken der Kläger verlaufen seit Errichtung der einzelnen Gebäude in den Jahren 1900 bis 1910 durch den Keller des Gebäudes auf dem Grundstück des Beklagten, wobei nur für die Entwässerungsanlage eine Grunddienstbarkeit eingetragen ist. Die Zufahrt zu den klägerischen Grundstücken erfolgt von Südosten von der Fröbelstraße über die Flurstücke 4 und 5. Insgesamt ergibt sich die Lage der Grundstücke und Gebäude aus dem folgenden Auszug aus dem Liegenschaftskataster:

Die Trinkwasserleitungen waren, soweit sie sich in den Gebäuden auf dem Grundstück ... Chaussee befanden, aus Blei. Die Kläger wandten sich deshalb seit dem Jahr 2007 an den Beklagten, um einen Austausch der vorhandenen Trinkwasserleitung durch eine Kupferleitung zu erreichen. Die Eigentümer der benachbarten Grundstücke erteilten keine Zustimmung zur Verlegung der Leitungen über ihre Grundstücke.

Die Kläger sind der Ansicht, dass ihnen ein Notleitungsrecht für das Grundstück des Beklagten zustehe. Notleitungsrechte für die anderen Nachbargrundstücke seien nach § 918 Abs. 2 BGB ausgeschlossen.

Wegen des weiteren erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils, berichtigt durch Beschluss vom 15.06.2016, verwiesen.

Die Parteien haben im Verlauf des Rechtsstreits am 12.02.2014 einen Zwischenvergleich geschlossen. Darin hat der Beklagte den Klägern gestattet, die vorhandene Frischwasserleitung aus Blei durch eine Fachfirma gegen eine Leitung aus Kupfer nach vorheriger Ankündigung auf Kosten der Kläger auszutauschen.

Das Landgericht hat die auf Feststellung der Duldungspflicht des Beklagten gerichtete Klage abgewiesen. Die Klageabweisung hat es damit begründet, dass das Notleitungsrecht nicht die Befugnis zur Inanspruchnahme von Wohngebäuden umfasse. Die Ver- und Entsorgungsleitungen verliefen aber durch den Keller eines Wohnhauses. Aus § 918 Abs. 2 BGB ergebe sich kein Leitungsrecht. Zwar lägen die tatbestandlichen Voraussetzungen für ein Leitungsrecht vor. Dieses umfasse aber nicht die Befugnis zur Inanspruchnahme eines Wohnhauses für den Leitungsverlauf. Ein Leitungsrecht ergebe sich auch nicht aus einem schuldrechtlichen Gestattungsvertrag oder aus dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis nach § 242 BGB.

Hiergegen wenden sich die Kläger mit der Berufung. Sie sind der Auffassung, aus § 918 Abs. 2 BGB als spezielle und deshalb vorrangig anzuwendende Anspruchsgrundlage ergebe sich eine Duldungspflicht des Beklagten. Das Gesetz schließe die Inanspruchnahme von Wohngebäuden nicht aus. Der Beklagte könne allenfalls einwenden, dass sein Grundstück nicht auf die konkrete Art und Weise der Erschließung diene. Diesen Einwand habe er aber nich...

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