Leitsatz (amtlich)

Schadensminderungsverletzung bei längerer Nichtbehandlung einer unfallbedingt erlittenen depressiven Störung

 

Normenkette

BGB §§ 252, 253 Abs. 1, § 254; ZPO §§ 256, 287

 

Nachgehend

BGH (Urteil vom 21.09.2021; Aktenzeichen VI ZR 91/19)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird - unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen sowie der Berufung des Klägers - das am 09.12.2016 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 5. Zivilkammer des Landgerichts Kiel teilweise geändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ein weiteres Schmerzensgeld in Höhe von EUR 10.000,00 zu zahlen.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger EUR 107.709,80 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz p. a. auf EUR 15.367,80 seit dem 07.10.2009, auf EUR 67.047,07 seit dem 05.06.2012 sowie auf EUR 107.709,80 seit dem 27.10.2016 sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von EUR 1.196,43 zu zahlen.

3. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger ab November 2016 bis zum 23. November 2036 25 % seines Verdienstausfallschadens zu ersetzen.

4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

5. Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen der Kläger 33 % und die Beklagte 67 %. Von den Kosten des Berufungsrechtszuges tragen der Kläger 28 % und die Beklagte 72 %.

6. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Den Parteien wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch die jeweils andere Partei gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des aufgrund dieses Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die jeweils andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

 

Gründe

I. Der Kläger nimmt die Beklagte als Haftpflichtversicherer auf weiteren immateriellen Schadenersatz, materiellen Schadensersatz und Feststellung der Ersatzpflicht für einen behaupteten Verdienstausfallschaden bis zur Vollendung des 67. Lebensjahres in Anspruch.

Dem zugrunde liegt ein Verkehrsunfall vom 08.08.2004, bei dem der Kläger als Motorradfahrer durch einen bei der Beklagten versicherten Pkw (Halter: L) erheblich verletzt wurde; er erlitt eine mehrfache Oberschenkelfraktur (Femurschaftfraktur rechts), zudem diverse Prellungen und Quetschungen am gesamten rechten Bein.

Die volle Haftung der Beklagten dem Grunde nach ist unstreitig; sie hat mit Schreiben vom 15.03.2010 (Anlage K 16) ihre Eintrittspflicht für alle unfallbedingten materiellen und immateriellen Ansprüche des Klägers anerkannt.

Nach dem Unfall wurde der Kläger im X operiert, die stationäre Behandlung dauerte bis zum 26.08.2004. Im Februar 2009 wurde der zur Stabilisierung im Oberschenkel eingesetzte Marknagel entfernt.

Nach der Krankenhausentlassung war der Kläger längere Zeit auf einen Rollstuhl und auf die Pflege durch seine als Beamtin im X tätige Ehefrau angewiesen. Der Kläger selbst war vor dem Unfall zunächst seit März 2003 in Teilzeit beim Land Schleswig-Holstein beschäftigt (Besoldung nach BAT IX mit netto rund EUR 677,00). Aufgrund einer befristeten Arbeitszeitanhebung war er seit dem 19.11.2003 bei der Landespolizei vollzeit angestellt. Seit dem 04.03.2004 bezog er im Wege des Tätigkeitsaufstiegs Einkünfte nach BAT Vergütungsgruppe VII.

Der Kläger leidet seit seiner Geburt an einer genetisch bedingten Muskeldystrophie, dadurch bedingt auch an einer Adipositas, zudem ist er Diabetiker. Der schon dadurch gegebene GdB betrug 60 %.

Der Kläger hat einen Hauptschulabschluss und nach Abbruch des Besuchs einer Wirtschaftsfachschule eine Lehre als Bürokaufmann absolviert. Vor seinem Übergang in den Landesdienst war er von 1998 bis 2002 im IT-Bereich bei der Firma M tätig.

Nach der Krankenhausentlassung des Klägers kam es im Herbst 2004 zu gesundheitlichen Komplikationen (Blasenentzündung/Antibiotikaunverträglichkeit) sowie zu depressiven Störungen; nach seinen Angaben unternahm er auch einen Suizidversuch.

Im Juni 2005 nahm der Kläger seine Arbeit (allerdings an einem anderen Platz) wieder auf, wobei er sodann in Vollzeit nach BAT VI b als Verwaltungsfachangestellter beschäftigt war und einen Nettoverdienst von rund EUR 1.270,00 erzielte. Der entsprechende Änderungsvertrag datiert vom 08.05.2006.

In der Folgezeit entwickelten sich beim Kläger aus streitiger Ursache psychosomatische Beschwerden, die zu seiner Arbeitsunfähigkeit ab Anfang 2007 führten. Mit Bescheid vom 09.12.2008 (Anlage K 6) wurde dem Kläger auf seinen Antrag vom 10.10.2007 hin rückwirkend zum 01.10.2007 eine bis 31.12.2009 befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung bewilligt.

Diese Bewilligung werde mit Bescheid vom 6.10.2009 (Anlage B 1) bis zum 31.12.2012 verlängert.

Mit Bescheid der DRV Bund 2012 (Anlage K 23/Blatt 222 d. A.) wurde dem Kläger auf seinen Antrag vom 13.06.2012 hin eine unbefristete Rente wegen voller Erwerbsminderung bis zur Einreichung der Regelaltersgrenze am 23.11.2036 bewilligt. Mit Urkunde vom November 2012 (Anlage K 24/B...

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