Entscheidungsstichwort (Thema)

Schmerzen und Beschwerden nach Verkehrsunfall bei Vorschädigung des Verletzten

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Zurechnung einer Gesundheitsverletzung aufgrund eines Verkehrsunfalles erfolgt i.d.R. auch dann, wenn der Geschädigte aufgrund von Vorschäden besonders schadensanfällig ist (Auslösekausalität).

2. Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes müssen aber im Rahmen der Billigkeit die Vorschädigung und die auf ihr beruhenden Risiken Berücksichtigung finden.

3. Für einen immateriellen Feststellungsanspruch ist i.d.R. kein Raum, wenn aufgrund der Vorschädigung gleiche Schmerzen und Beschwerden auch ohne den Unfall auftreten werden.

 

Normenkette

BGB §§ 823, 847 a.F.

 

Verfahrensgang

LG Itzehoe (Urteil vom 27.04.2001; Aktenzeichen 7 O 119/00)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das am 27.4.2001 verkündete Urteil des Einzelrichters der 7. Zivilkammer des LG Itzehoe geändert:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ein Schmerzensgeld i.H.v. 2.556,46 Euro (= 5.000 DM) nebst 4 % Jahreszinsen seit dem 4.4.2000 zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche materiellen Schäden aus dem Unfall vom 14.8.1998 auszugleichen, soweit Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen; die weiter gehende Berufung wird zurückgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger 8/15 und trägt die Beklagte 7/15.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt Schmerzensgeld und die Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten, einer Versicherung, für immaterielle und materielle Schäden aufgrund eines Verkehrsunfalls. Das LG hat die Klage abgewiesen, weil die erhebliche Vorschädigung (Verschleiß) die Schmerzen und Beschwerden ausgelöst habe. Die Berufung des Klägers hatte bis auf die Höhe des Schmerzensgeldes und den immateriellen Feststellungsantrag Erfolg.

 

Entscheidungsgründe

Auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil wird Bezug genommen. Der Senat hat zu den Beschwerden des Klägers vor und nach dem Verkehrsunfall vom 14.8.1998 den Kläger angehört und seine geschiedene Ehefrau als Zeugin vernommen sowie den Sachverständigen Dr. med. H. zur Erläuterung seines vor dem LG erstatteten Gutachtens angehört; wegen des Ergebnisses wird auf den Inhalt des Berichterstattervermerks vom 28.8.2003 verwiesen.

Die Berufung des Klägers, mit der er die Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes und die Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für sämtliche materiellen und weiteren immateriellen Schäden begehrt, ist teilweise begründet; dem Kläger steht ein Schmerzensgeld i.H.v. 8.000 DM zu, bei außergerichtlich gezahlten 3.000 DM i.H.v. weiteren 5.000 DM, der Feststellungsausspruch ist auf materielle Schäden zu begrenzen.

Mit der Anhörung des Klägers und der Vernehmung seiner Ehefrau, von der zwar geschieden ist, mit der er aber nach wie vor zusammenlebt, sowie den Ausführungen des Sachverständigen Dr. med. H. bei seiner Anhörung vor dem Senat ist bewiesen, dass der Verkehrsunfall die Schmerzen und Beschwerden des Klägers ausgelöst hat; aufgrund seiner schweren degenerativen Veränderungen (erheblicher Verschleiß) war der Kläger aber schon so sehr gesundheitlich geschädigt, dass es auch ohne den Unfall zu den Schmerzen und Beschwerden gekommen wäre.

Der Sachverständige Dr. med. H. hat im Einklang mit den Ärzten Dr. med. Br. Dr. med. Bü. und Dr. med. R. einen erheblichen Verschleiß in der Steuermuskulatur des Schultergelenkes festgestellt, aber bei seiner Anhörung vor dem Senat eingeräumt, dass durch den Verkehrsunfall ein Schmerz ausgelöst worden sei, der vor dem Unfall so nicht vorhanden gewesen sei, weil er vom Kläger kompensiert worden sei. Das steht im Einklang mit den glaubhaften Erklärungen des Klägers und den Bekundungen seiner geschiedenen Ehefrau, dass er vor dem Verkehrsunfall beschwerdefrei gewesen sei und bis dahin mit der Schulter nichts bemerkt habe.

Dass nach den Ausführungen des Sachverständigen die gleichen Schmerzen und Beeinträchtigungen auch ohne den Unfall aufgetreten wären („Die schweren degenerativen Veränderungen brauchen nur einen leichten Anstoß, dass es zu Beschwerden und Schmerzen kommt”), ändert nichts an der Kausalität des Unfalls im Sinne eines Auslöseeffekts. Ein Schädiger hat keinen Anspruch darauf, so gestellt zu werden, als habe er einen bis dahin Gesunden verletzt; eine Zurechnung erfolgt i.d.R. auch, wenn der Geschädigte aufgrund von Vorschäden besonders schadensanfällig ist. Dass es ohne den Unfall irgendwann zu gleichen Beschwerden gekommen wäre, ist eine Frage der Reserveursache, für die die Beklagte mangels gesicherter Feststellungen beweisfällig geblieben ist.

Bei der Bemessung des dem Kläger zuzusprechenden Schmerzensgeldbetrags muss im Rahmen der Billigkeit die erhebliche Vorschädigung und die auf ihr beruhenden Risiken Berücksichtigung finden (BGH v. 11.11.1997 – VI ZR 376/96, MDR 1998, 157 = NJW 1998, 810 [813]). Aufg...

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