Entscheidungsstichwort (Thema)

Erbschein. Testierfähigkeit. Gerichtskostenverteilung im Erbscheinverfahren

 

Leitsatz (amtlich)

Ist im Erbscheinverfahren aufgrund der Einwendungen eines Beteiligten ein Gutachten zur Testierfähigkeit einzuholen, muss im Rahmen der Billigkeitsentscheidung über die Verteilung der Gerichtskosten berücksichtigt werden, wenn die letztlich erfolglosen Einwendungen jedenfalls nicht substanzlos waren. Die Kosten dürfen dem Antragsteller nicht deshalb allein auferlegt werden, weil er die Vorteile des Erbscheins genießt. Anhaltspunkte für die Kostenverteilung in einem solchen Fall können der Wertung des Gesetzgebers in dem Regelbeispiel des § 81 Abs. 2 Nr. 3 FamFG entnommen werden.

 

Normenkette

FamFG § 81

 

Verfahrensgang

AG Lübeck (Entscheidung vom 14.11.2011; Aktenzeichen 5 VI 313/10)

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Beteiligten zu 1. wird der Beschluss des Amtsgerichts - Nachlassgericht - Lübeck vom 14. November 2011 in der Kostenentscheidung hinsichtlich der Gerichtskosten dahin geändert, dass diese zu je 1/2 dem Beteiligten zu 1. und dem Beteiligten zu 3. auferlegt werden.

Die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens tragen der Beteiligte zu 1. und 3. je zur Hälfte. Die außergerichtlichen Kosten trägt jeder Beteiligte selbst. Der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens beträgt 2.459,85 €.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten sind die Söhne der am 2. Oktober 2009 verstorbenen ... (Erblasserin).

Die Erblasserin errichtete mit ihrem Ehemann, dem Vater der Beteiligten, am 17. Januar 1968 ein handschriftliches gemeinschaftliches Testament. Es hat seinem wesentlichen Inhalt nach auszugsweise folgenden Inhalt:

"Wir... setzen uns hiermit gegenseitig zu alleinigen Erben ein. Nach dem Tode des Überlebenden soll dessen Nachlass zu gleichen Teilen auf unsere dann noch lebenden Kinder aufgeteilt werden, falls der Überlebende keine weitere Nachlassverfügung getroffen hat."

Die Ehegatten ergänzten das Testament am 11. August 1990 um eine Vermächtnisanordnung zugunsten des Beteiligten zu 1.). Mit einseitigem Testament vom 12. März 1996 traf die Erblasserin Bestimmungen zur Grabpflege.

Der Vater der Beteiligten starb 1993 / 1994. Die Erblasserin ließ am 11. Mai 2007 notariell ein Testament beurkunden, in dem sie die Beteiligten zu 1.) und 2.) als ihre Erben einsetzte und den Beteiligten zu 3.) enterbte. Sie begründete die Enterbung damit, dass der Beteiligte zu 3.) durch eine Verpfändung ihres Sparvermögens ihr Vertrauen missbraucht habe. Der dem zugrundeliegende Sachverhalt wird in der Präambel der Urkunde näher geschildert. Wegen der Einzelheiten wird auf die Urkundenabschrift Bl. 16 - 19 d. A. verwiesen.

Der Beteiligte zu 1.) hat die Erteilung eines Erbscheins beantragt,

der ihn und den Beteiligten zu 2.) auf Grund des Testaments vom 11. Mai 2007 als Erben nach ihrer Mutter zu je 1/2 ausweisen soll

(Bl. 30 d. A.). Er hat dieses Testament für wirksam gehalten. Die Eltern hätten in ihrem gemeinschaftlichen Testament keine Schlusserbeneinsetzung mit Bindungswirkung vorgenommen, sondern dem Überlebenden ausdrücklich eine neue Verfügung über den Nachlass vorbehalten. Als die Erblasserin davon Gebrauch gemacht habe, sei sie testierfähig gewesen.

Der Beteiligte zu 3.) ist dem Antrag entgegengetreten. Er hat die Auffassung vertreten, die Schlusserbeneinsetzung im gemeinschaftlichen Testament sei bindend. Der Vorbehalt betreffe nur die Freiheit des Überlebenden, Verfügungen unter Lebenden vornehmen zu dürfen. Die Erblasserin sei im Mai 2007 zudem wegen Demenz testierunfähig gewesen.

Das Nachlassgericht hat Beweis über die Testierfähigkeit der Erblasserin durch Vernehmung des Testament beurkundenden Notars ... als Zeugen (Bl. 53 - 56 d. A.) und Einholung eines Gutachtens des Sachverständigen Dr. med. ... (Gutachten vom 15. Juni 2011, Bl. 114 - 140 d. A. nebst ergänzender Stellungnahme vom 1. September 2011, Bl. 155 - 157 d. A.) erhoben. Außerdem hat es die zum Termin am 1. September 2010 erschienenen Beteiligten zu 1.) und 2.) persönlich angehört. Es hat anschließend mit Beschluss vom 14. November 2011 (Bl. 165 - 170 d. A.) die zur Erteilung des beantragten Erbscheins erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachtet und die Erteilung des entsprechenden Erbscheins angekündigt. Die Gerichtskosten hat es den Beteiligten zu 1.) auferlegt, die Erstattung außergerichtlichen Kosten nicht angeordnet. Zur Begründung der Entscheidung in der Sache hat es ausgeführt, dass das Testament vom 11. Mai 2007 wirksam sei. Das vorangegangene gemeinschaftliche Testament enthalte keine bindende Schlusserbenbestimmung, weil dem Längstlebenden die Möglichkeit eingeräumt worden sei, eine weitere Nachlassverfügung zu treffen. Diese Verfügungsfreiheit beziehe sich nicht nur auf Verfügungen unter Lebenden. Hätten die Ehegatten die Formulierung auf das Aufbrauchen des Nachlasses des Erstversterbenden beziehen wollen, hätten sie nicht die Einzahl von Verfügung, sondern die Mehrzahl gewählt, weil das Verteilen des Nachlasses üblicherweise durch mehrere Zuwendungen er...

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