Verfahrensgang

LG Lübeck (Entscheidung vom 17.06.2010)

 

Tenor

1. Die Beschwerde wird als unbegründet verworfen.

2. Mit dieser Entscheidung ist die Anordnung der Aussetzung der Entlassung des Untergebrachten hinfällig.

3. Die Entlassung des Untergebrachten obliegt der Vollstreckungsbehörde.

4. Die Staatskasse hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen und dem Untergebrachten die ihm im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten.

 

Gründe

Durch Urteil vom 24. November 1994 hat die VII. Große Strafkammer des Landgerichts Lübeck den Untergebrachten wegen sexueller Nötigung in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung und versuchter Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Dabei hat die Strafkammer - sachverständig beraten - festgestellt, dass der Untergebrachte bei Tatbegehung erheblich vermindert schuldfähig gewesen sei. Ebenso sachverständig beraten hat die Strafkammer festgestellt, dass es sich bei dem Untergebrachten um einen gefährlichen Hangtäter handele und hat daher neben der Freiheitsstrafe auch die Maßregel der (erstmaligen) Unterbringung in der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 1 StGB in der damals geltenden Fassung angeordnet.

Die Strafe aus diesem Urteil hat der Untergebrachte bis zum 1. Mai 1999 vollständig verbüßt. Seit dem 2. Mai 1999 befindet er sich in der Sicherungsverwahrung.

Nach Erlass und Bekanntwerden der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte zu den sogenannten "Altfällen" der Sicherungsverwahrung vom 17. Dezember 2009 hat die Staatsanwaltschaft bei dem Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgericht gemäß § 145 Abs. 1 GVG die an sich der örtlich zuständigen Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Lübeck obliegenden Aufgaben als Vollstreckungsbehörde an sich gezogen und hat in der Folgezeit bei der örtlich zuständigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Lübeck beantragt, gemäß § 67 e Abs. 1 StGB - außerhalb der turnusgemäß vorgeschriebenen Fortdauerentscheidungen - eine Entscheidung über die Fortdauer der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung dahingehend zu treffen, dass diese auch im Lichte der genannten Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte fortgesetzt werden dürfe.

Diesen Antrag hat die Strafvollstreckungskammer abschlägig beschieden. Sie hat auf Grundlage des § 67 d Abs. 4 Satz 1 und 2 StGB in der zurzeit geltenden Fassung (deklaratorisch) festgestellt, dass die Maßregel erledigt sei, weil die für "Altfälle" weiterhin geltende Höchstfrist von 10 Jahren des § 67 d Abs. 1 StGB a. F. zu beachten und überschritten sei.

Zugleich hat die Strafvollstreckungskammer durch den angefochtenen Beschluss Dauer und Ausgestaltung der von Gesetzes wegen (§ 67 d Abs. 4 Satz 3 StGB) eintretenden Führungsaufsicht geregelt und hat - da die Staatsanwaltschaft für den Fall nicht antragsgemäßer Entscheidung bereits die Einlegung eines Rechtsmittels angekündigt hatte - gestützt auf § 307 Abs. 2 StPO entschieden, dass die Vollziehung des Beschlusses längstens bis zur Entscheidung des Beschwerdegerichts auszusetzen sei.

Gegen diesen Beschluss hat die Staatsanwaltschaft bei dem Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgericht Beschwerde eingelegt.

Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft ist zulässig. Dabei kann aus Sicht des Senats offen bleiben, ob der Ansatz der Strafvollstreckungskammer zutrifft, dass es sich vorliegend um eine Entscheidung nach § 67 d Abs. 4 StGB handelte - mit der Folge, dass diese mit einer einfachen Beschwerde nach § 304 StPO anfechtbar wäre oder ob es sich tatsächlich um eine Entscheidung gemäß den §§ 463 und 458 Abs. 1 StPO über die Frage der Zulässigkeit der (weiteren) Vollstreckung oder aber - wozu der Senat neigt und wie es die Staatsanwaltschaft beantragt hatte - um eine Fortdauerentscheidung nach § 67 e Abs. 1 StPO handelte, wobei die beiden letztgenannten Entscheidungen mit einer sofortigen Beschwerde anzufechten gewesen wären. Denn auch die Beschwerdefrist des § 311 Abs. 2 StPO wäre im vorliegenden Fall eingehalten; auch bei einer mit der sofortigen Beschwerde anfechtbaren Entscheidung wäre die Strafvollstreckungskammer berechtigt gewesen, gemäß § 307 Abs. 2 StPO die Vollziehung der Entscheidung auszusetzen (Meyer-Goßner, StPO 53. Aufl., § 307, Rn. 2) und der Senat ist in jedem Fall für die Entscheidung über das Rechtsmittel zuständig.

Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft ist unbegründet. Der Untergebrachte ist aus der Sicherungsverwahrung zu entlassen. Denn für ihn gilt nach wie vor der die Dauer der Sicherungsverwahrung auf 10 Jahre begrenzende § 67 d Abs. 1 StGB in der bis 1998 geltenden Fassung.

Im vorliegenden Fall handelt es sich um einen der sogenannten "Altfälle", also um eine erstmalige Verurteilung zur Sicherungsverwahrung in der Zeit vor 1998, für die § 67 d Abs. 1 StGB in der damals geltenden Fassung vorsah, dass diese erste Unterbringung in der Sicherungsverwahrung 10 Jahre nicht übersteigen dürfe. Für einen gleichgelagerten Fall hat der Europäische Gerichtshof für Mensche...

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