Entscheidungsstichwort (Thema)

Vollstreckbarkeit ausländischer Entscheidungen im einstweiligen Rechtsschutz

 

Leitsatz (amtlich)

1. Unter anzuerkennende ausländische "Entscheidung" i.S.v. Art. 32 EuGVVO fallen auch Entscheidungen des vorläufigen Rechtsschutzes, die in einem ausländischen einstweiligen Verfügungs-, Anordnungs- oder Arrestverfahren ohne vorherige Anhörung des Gegners ergangen sind.

2. Die Entscheidung des EuGH vom 21.5.1980 (EuGH v. 21.5.1980, IPRax 1981, 95 [96]) ist zu Art. 27, 46 Nr. 2 EuGVÜ ergangen und auf die Art. 32 ff. EuGVVO nicht übertragbar. Der Verordnungsgeber hat auf die EuGH-Rechtsprechung nicht reagiert, er hält vielmehr in Art. 32 EuGVVO ausdrücklich an der weiten Fassung des ursprünglichen Art. 25 EuGVÜ fest.

3. Der Begriff "Entscheidungen" i.S.v. Art. 32 EuGVVO ist weit auszulegen und umfasst auch sog. "Ex parte Entscheidungen". Anderenfalls hätte der Verordnungsgeber bei Erlass der Verordnung vom 22.12.2002 (Nr. 44/2001) im Hinblick auf die bereits bekannte EuGH-Rechtsprechung (EuGH v. 21.5.1980, IPRax 1981, 95 [96]) reagiert und Entscheidungen des Ursprungslandes im Bereich des vorläufigen Rechtsschutzes aus dem Anwendungsbereich der Anerkennungsvorschriften für die Vollstreckung ausgenommen.

 

Normenkette

ZPO § 722; EuGVVO Art. 32, 34 (= Verordnung EG-Nr. 44/2001 vom 22.12.2000 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen). Zu EuGH vom 21.5.1980 (EuGH v. 21.5.1980; EuGVVO IPRax 1981; EuGVVO 95 [96])

 

Verfahrensgang

LG Lübeck (Aktenzeichen 2 O 151/05)

 

Nachgehend

BGH (Beschluss vom 21.12.2006; Aktenzeichen IX ZB 150/05)

 

Tenor

Die Beschwerde wird auf Kosten der Schuldnerin zurückgewiesen.

 

Gründe

I. Die Gläubigerin betreibt die Zulassung der Zwangsvollstreckung aus einem Arrestbeschluss des AG S. (Schweden) vom 1.4.2005 (Az. T 390-05), durch den die Schuldnerin wegen einer Forderung über 199.210 EUR mit dem dinglichen Arrest belegt worden ist.

Das LG hat dem Antrag auf Erteilung der Vollstreckungsklausel durch Beschl. v. 18.4.2005 entsprochen. Die Gläubigerin hat daraufhin die Vorpfändung ausgebracht und das Bankkonto der Schuldnerein bei der Volksbank O. e.G. gepfändet. (Bl. 83 GA).

Mit der fristgerecht eingelegten Beschwerde begehrt die Schuldnerin Aufhebung der Vollstreckbarerklärung wegen eines Anerkennungshindernisses nach Art. 34 EuGVVO (= Verordnung EG-Nr. 44/2001 vom 22.12.2000 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen). Die Schuldnerin beruft sich auf die Entscheidung des EuGH vom 21.5.1980 (EuGH v. 21.5.1980, IPRax 1981, 95 [96], vgl. Anl. K 5, Bl. 59 + 60 GA) wonach Arreste, einstweilige Verfügungen und sonstige Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes (sog. Ex-Parte-Entscheidungen) keine "Entscheidungen" i.S.v. Art. 32 EuGVVO darstellten und deshalb auch nicht im Vollstreckungsverfahren anzuerkennen seien.

Die Schuldnerin ist im schwedischen Arrestverfahren unstreitig nicht gehört worden, inzwischen ist jedoch eine entsprechende Einspruchsschrift (Einspruchsfrist nach schwedischem Recht 28 Tage) vorbereitet und ein schwedisches Anwaltsbüro beauftragt.

Wegen des Vorbringens der Parteien im Einzelnen wird auf die gewechselten Schriftsätze und die eingereichten Anlagen Bezug genommen.

II. Die Beschwerde ist gem. § 43 EuGVVO i.V.m. §§ 1 Abs. 1, 11, 55 des Anerkennungs- und Vollstreckungsausführungsgesetzes (AVAG) statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt.

Die Beschwerde jedoch unbegründet. Gründe i.S.v. § 43 EuGVVO, bei deren Vorliegen die Vollstreckbarkeitserklärung aufgehoben werden darf, liegen nicht vor. Insoweit kommen nur die in Art. 34 und 35 EuGVVO aufgeführten Gründen in Betracht. Gemäß Art. 34 Nr. 2 EuGVVO wird eine Entscheidung dann nicht anerkannt, "wenn dem Beklagten, der sich auf das Verfahren nicht eingelassen hat, das verfahrenseinleitende Schriftstück ... nicht so rechtzeitig und in einer Weise zugestellt worden ist, dass er sich verteidigen konnte, es sei denn, der Beklagte hat gegen die Entscheidung keinen Rechtsbehelf eingelegt, obwohl er die Möglichkeit dazu hatte". Diese Vorschrift steht der Anerkennung des schwedischen Arrestbeschlusses in Deutschland nicht entgegen. Normzweck des Art. 34 Nr. 2 EuGVVO ist die Gewährleistung und Durchsetzung des Anspruchs des Beklagten/Antragsgegners auf rechtliches Gehör im internationalen Rechtsverkehr, soweit dies im Stadium der Anerkennung noch möglich ist. Wenn schon dem Beklagten das rechtliche Gehör im Erstprozess abgeschnitten worden ist, so soll die darauf beruhende Entscheidung wenigstens in den übrigen Mitgliedsstaaten keine Wirkung entfalten (Geimer/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht, 2. Aufl., Art. 34 Rz. 90, m.w.N.).

Die Entscheidung des EuGH vom 21.5.1980 (EuGH v. 21.5.1980, IPRax 1981, 95 [96]) ist zu Art. 27, 46 Nr. 2 EuGVÜ ergangen und auf die Art. 32 ff. EuGVVO nicht übertragbar (Geimer/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht,...

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