Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitslosengeld II. Unterkunftskosten. Angemessenheit. Übergangsrecht. verfassungskonforme Auslegung von § 22 Abs 1 S 2 SGB 2

 

Orientierungssatz

1. Hintergrund der Regelung des § 22 Abs 1 S 2 SGB 2 ist, dass ein Hilfebedürftiger grundsätzlich Anspruch auf die Deckung seines gesamten Unterkunftsbedarfs hat und deshalb auf die Senkung seiner Unterkunftskosten nur verwiesen werden darf, soweit ihm diese im Bedarfszeitraum objektiv und subjektiv abverlangt werden kann. Nur wenn beides der Fall ist, besteht - auch für eine Übergangszeit - kein Anspruch auf Übernahme des unangemessenen Teils der Unterkunftsaufwendungen.

2. Auch soweit dem Hilfesuchenden eine sofort verfügbare kostenangemessene Unterkunftsalternative nachgewiesen werden kann, ist der Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende gleichwohl zur vorübergehenden Übernahme der vollen Unterkunftskosten verpflichtet, wenn im Einzelfall besondere Umstände hinzutreten, die eine Verweisung des Hilfebedürftigen auf die verfügbare Unterkunftsalternative für die Übergangszeit als unzumutbar erscheinen lassen. Das ist immer dann anzunehmen, wenn der Hilfebedürftige bei Eintritt der Hilfebedürftigkeit die aus grundsicherungsrechtlicher Sicht zu teure Wohnung bereits bewohnt.

3. Eine (Übergangs-)Bestimmung des Inhalts, dass dem Hilfebedürftigen auch unangemessene Unterkunftskosten im Rahmen eines vorherigen Leistungssystems (hier der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem BSHG) vorzuhalten sein sollen, ist nicht vorgesehen. Schon deshalb kann die Vorschrift des § 22 Abs 1 S 2 SGB 2 nach allgemeinen Grundsätzen nur solche Versäumnisse erfassen, die erstmals nach ihrem Geltungsbeginn entstanden sind. Die gegenteilige Handhabung unterliegt darüber hinaus erheblichen Bedenken im Hinblick auf den allgemeinen Gleichheitssatz (Art 3 Abs 1 GG), weil sie ehemalige Bezieher von Arbeitslosenhilfe nach dem SGB 3 und ehemalige Bezieher von Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem BSHG ohne sachlich zu rechtfertigenden Grund unterschiedlich betreffen würde.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Antragsgegnerin im Wege einstweiligen Rechtsschutzes zu verpflichten ist, der Antragstellerin weitere Unterkunftskosten zu zahlen.

Die seit 1996 geschiedene Antragstellerin ist Mieterin einer 1918 bezugsfertig gewordenen 2-Zimmer-Wohnung mit einer Wohnfläche von 49 qm in K, welche sie seit dem Auszug ihrer Tochter im Jahre 2004 alleine bewohnt. Die Warmmiete beläuft sich auf 418,07 € monatlich, der Heizkostenanteil beträgt 48,07 €.

Bis zum 31. Dezember 2004 bezog die Antragstellerin Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG). Seit 1998 hat der Sozialhilfeträger Unterkunftskosten nur noch in Höhe der im Bereich der Landeshauptstadt K geltenden Mietobergrenze für einen 2-Personen-Haushalt gewährt. Diese betrug im Jahre 2004 für eine bis 1976 fertig gestellte Wohnung mit Bad und Zentralheizung 327,00 €. Wegen dieser Leistungskürzung sind nach Angaben der Antragstellerin noch Widerspruchsverfahren bei der Stadt K anhängig. Eine weitere Herabsetzung nach dem Auszug ihrer Tochter ist nicht erfolgt. Eine förmliche Aufforderung zur Senkung ihrer Unterkunftskosten ist nicht ergangen.

Mit Bescheid vom 30. November 2004 bewilligte die Antragsgegnerin der Antragstellerin für den Zeitraum vom 1. Januar bis zum 30. Juni 2005 Grundsicherung für Arbeitsuchende in Höhe von 719,78 €. Diese Leistung setzt sich zusammen aus der Regelleistung in Höhe von 345,00 €, Unterkunftskosten in Höhe von 326,71 € und Heizkosten in Höhe von 48,07 €.

Mit ihrem deswegen am 28. Dezember 2004 erhobenen Widerspruch begehrte die Antragstellerin unter anderem die Gewährung der ihr tatsächlich entstehenden Unterkunftskosten. Zur Begründung führte sie aus: Wegen der gekürzten Unterkunftskosten habe sie ihre Wohnung inzwischen selbst gekündigt. Damit habe sie die ihr zu Gebote stehenden Möglichkeiten der Kostensenkung bereits wahrgenommen. Mehr könne sie nicht tun. Über den Widerspruchsbescheid ist noch nicht entschieden.

Mit Schriftsatz vom 18. Februar 2005 begehrte die Antragstellerin bei dem Sozialgericht Schleswig einstweiligen Rechtsschutz. Zur Begründung wiederholte sie ihr Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren und führte ergänzend aus: Die Antragsgegnerin könne sich nicht darauf berufen, dass der Sozialhilfeträger die Leistung für Unterkunftskosten seit dem Jahre 1998 gekürzt habe. Eine Rechtsnachfolge für Altfälle habe der Gesetzgeber nicht geregelt. Die Antragsgegnerin habe deshalb ohne Beachtung des vorherigen Sozialhilfebezugs nach dem SGB II zu entscheiden. Im Übrigen sei die Entscheidung des Sozialhilfeträgers auch rechtswidrig gewesen, da sie niemals aufgefordert worden sei, ihre Mietkosten zu senken.

Die Antragstellerin hat unter anderem beantragt (sinngemäß),

die Antragsgegnerin im Wegen der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihre Unterkunftskosten in voller Höhe zu berücksichtigen.

Die Antragsgegnerin hat beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Sie hat den öf...

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