Rz. 2

Die Vorschrift regelt die Voraussetzungen für vorläufige Leistungen bei Unsicherheit über die Rechtslage und bei Unsicherheit über den entscheidungserheblichen Sachverhalt der Bundesagentur für Arbeit und die Folgen daraus. Damit schafft der Gesetzgeber eine praxisnahe Regelung und eröffnet den Zugang zu Sozialleistungen i. S. d. § 17 SGB I auch in Fällen, in denen das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen ungewiss ist. Vorläufigen Entscheidungen kommt nach Zweck und Bindungswirkung allein die Funktion zu, eine (Zwischen-)Regelung bis zur endgültigen Klärung der Sach- und Rechtslage zu treffen (BSG, Urteil v. 29.4.2015, B 14 AS 31/14 R). Dadurch werden die Leistungsverfahren beschleunigt. Grundsätzlich gilt bei vorläufigen Entscheidungen im Bereich des Sozialrechts, dass es sich bei der vorläufigen Leistung um eine eigenständige Leistung handelt, die als vorläufige Leistung auch nach Grund und Umfang deutlich herauszustellen ist, Rechtssicherheit für einen nur begrenzten Zeitraum (bis zur endgültigen Entscheidung) bietet und nicht aufgehoben werden muss, weil sie sich durch Erlass des endgültigen Bescheides erledigt.

 

Rz. 2a

Abs. 1 zählt die Sachverhalte auf, bei denen eine vorläufige Entscheidung möglich ist. Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 ermöglicht vorläufige Entscheidungen bei Anhängigkeit entscheidungserheblicher Rechtsfragen beim EuGH, beim BVerfG oder BSG.

Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 enthält das Herzstück der Vorschrift. Danach können vorläufige Leistungen erbracht werden, wenn das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen nicht feststeht, aber wahrscheinlich ist. Voraussetzung ist, dass für die Feststellung der Anspruchsvoraussetzungen voraussichtlich längere Zeit erforderlich wird, ohne dass der Arbeitnehmer dies zu vertreten hätte. Bei dieser Fallgestaltung kann der Antragsteller auf die Leistung auch eine vorläufige Entscheidung beantragen (Abs. 1 Satz 3). Im Bewilligungsbescheid müssen Umfang und Grund der vorläufigen Leistung dargelegt werden (Abs. 1 Satz 2). Damit soll insbesondere für die Leistungsberechtigten Transparenz in Bezug auf den rechtlichen Charakter der bewilligten Leistung geschaffen werden.

 

Rz. 2b

Abs. 2 unterstellt in Fällen auch der Höhe nach zu Recht erbrachter vorläufiger Geldleistungen kein besonderes Interesse daran, dass der vorläufige Leistungsbescheid durch einen endgültigen Leistungsbescheid mit gleichem Inhalt ersetzt wird. Die Vorschrift vermeidet Bürokratie. Der Berechtigte kann aber einen endgültigen Bescheid beantragen. Der Agentur für Arbeit steht dann kein Ermessen darüber zu, ob sie die Erklärung abgibt oder nicht, sie hat die vorläufige Entscheidung für endgültig zu erklären.

 

Rz. 2c

Abs. 3 regelt die Berücksichtigung vorläufiger Leistungen bei den endgültigen Leistungen. Bei Unterzahlungen ist anzurechnen, bei Überzahlungen zu erstatten. Kurzarbeitergeld und Wintergeld sind vom Arbeitgeber zu erstatten. Ein endgültiger Bescheid ist aber kein taugliches Instrument in Fällen, in denen objektiv nur die Möglichkeit einer prospektiven Schätzung insbesondere der Einkommenssituation besteht (BSG, Urteil v. 29.4.2015, B 14 AS 31/14 R).

 

Rz. 2d

Abs. 4 eröffnet vorläufige Entscheidungen auch für Erstattungen von Sozialversicherungsbeiträgen an Arbeitgeber, z. B. nach § 102 Abs. 4.

 

Rz. 2e

Die Änderungen der Vorschrift zum 1.4.2012 waren nur redaktioneller Art, um die Vorschrift geschlechtsneutral auszuformulieren.

 

Rz. 2f

Seit dem 1.8.2016 trifft § 41a SGB II für den Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende eigenständige Regelungen über vorläufige Entscheidungen. Zur früheren Rechtslage hat das BSG entschieden, dass der Erstattungsbetrag bei der Rückforderung vorläufiger Leistungen nicht um den Abzugsposten von 56 % der Leistungen für Unterkunft und Heizung zu verringern ist. Leistungsempfängern wird nach Ablehnung der endgültigen Leistungsgewährung die Möglichkeit eröffnet, Wohngeld zu beantragen. Sie werden damit nicht schlechter gestellt (BSG, Urteil v. 23.8.2012, B 4 AS 169/11 R).

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