Entscheidungsstichwort (Thema)

Elterngeld. Beginn der selbstständigen Erwerbstätigkeit kurz vor Geburt des Kindes. keine Einkünfte im letzten steuerlichen Veranlagungszeitraum. keine Verschiebung des Bemessungszeitraums. persönliche Härte. Verfassungsrecht. weiter Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers

 

Orientierungssatz

1. § 2b Abs 2 S 1 BEEG greift bereits dann ein, wenn vor der Geburt Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit zugeflossen ist.

2. Eine Ausnahme für nur geringfügige Einnahmen kommt nicht in Betracht, denn der gesetzgeberische Wille ging erkennbar dahin, dass bei Einkünften aus selbstständiger Erwerbstätigkeit in auch nur geringfügigem Umfang oder auch im Verlustfall der Steuerbescheid des letzten abgeschlossenen Veranlagungszeitraums maßgeblich sein soll.

3. Dass in atypischen Fällen hieraus eine Härte folgen mag, ist angesichts dessen, dass dem Gesetzgeber im Bereich der gewährenden Sozialgesetzgebung außerhalb der Regelungen zur Existenzsicherung ein weiter Gestaltungsspielraum zuzugestehen ist, und der Tatsache, dass ein Mindestelterngeld gezahlt wird, auch verfassungsrechtlich hinnehmbar (vgl BSG vom 21.6.2016 - B 10 EG 8/15 R = BSGE 121, 222 = SozR 4-7837 § 2b Nr 1).

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 13.08.2019; Aktenzeichen B 10 EG 8/19 B)

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 10. Januar 2018 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von höherem Elterngeld nach dem Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG), insbesondere über die Frage, welcher Bemessungszeitraum der Elterngeldberechnung zugrunde zu legen ist.

Die im August 1979 geborene Klägerin ist die Mutter des 2014 geborenen Kindes J. Im Zeitraum 01.04.2012 bis zum 30.03.2013 und 30.08.2013 bis zum 04.09.2013 bezog sie Arbeitslosengeld I nach dem Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III). Vom 01.04.2013 bis zum 29.08.2013 absolvierte sie eine Ausbildung zur Personalreferentin S. Seit dem 01.04.2014 übt die Klägerin eine selbstständige Tätigkeit als Dozentin für S. aus und erzielte bis zum 01.12.2014 ein Einkommen i.H.v. ca. 25.258,00 €, wobei nach den Abzügen ein Gewinn i.H.v. von ca. 22.371,44 € verblieb.

Auf den Antrag der Klägerin vom 19.12.2014 bewilligte die Beklagte ihr mit Bescheid vom 18.02.2015 Elterngeld für ihren Sohn J… für den Zeitraum vom 01.12.2014 bis 30.12.2015 (für den ersten bis zwölften Lebensmonat) i.H.v. monatlich 300,00 €. Dabei legte die Beklagte das im letzten steuerlichen Veranlagungszeitraum vor der Geburt, d. h. das im Kalenderjahr 2013 erzielte Einkommen zugrunde. Für den Bezugszeitraum ging die Beklagte von einem Einkommen von null Euro aus.

Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin mit Schreiben vom 10.03.2015 Widerspruch ein und beantragte, für die Elterngeldbemessung das in dem Zwölfmonatszeitraum vor der Geburt erzielte Einkommen zugrunde zu legen. Der Kommunale Sozialverband Sachsen wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 08.05.2015 zurück. Da die Klägerin in dem maßgeblichen Zeitraum, dem Kalenderjahr vor der Geburt des Kindes, Einkommen aus selbstständiger Arbeit gehabt habe, sei der letzte abgeschlossene Veranlagungszeitraum, also das Kalenderjahr 2013, für die Berechnung des Elterngeldanspruchs maßgeblich. Durch das Einkommen aus selbstständiger Arbeit werde der Bemessungszeitraum bestimmt. Eine Günstigkeitsprüfung oder eine Wahlmöglichkeit seien gesetzlich nicht vorgesehen.

Hiergegen hat die Klägerin die am 01.06.2015 beim Sozialgericht Leipzig (SG) eingegangene Klage erhoben. Ihr Elterngeldanspruch sei auf Grundlage des Einkommens im Zwölfmonatszeitraum vor der Geburt ihres Sohnes zu berechnen. Die Heranziehung des Einkommens aus dem Veranlagungszeitraum 2013 sei nicht zulässig, da sie im Jahr 2013 keine selbständige Tätigkeit ausgeübt und kein Einkommen erzielt habe. Die Zugrundelegung des Steuerzeitraums 2013 führe zu einer unbilligen Härte, die mit dem Sinn und Zweck des Elterngeldes nicht vereinbar sei. Jedenfalls sei in Fällen wie dem vorliegenden, bei dem die Klägerin gar keine Möglichkeit gehabt habe, 2013 Einkommen aus der selbständigen Tätigkeit zu erzielen, von der gesetzgeberischen Typisierung abzusehen und der Bemessungszeitraum nach § 2b Abs. 1 Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) festzusetzen.

Nach Fortführung des durch Beschluss des SG 04.03.2016 zunächst ruhend gestellten Verfahrens hat das SG die Beklagte durch Urteil vom 10.01.2018 verurteilt, der Klägerin Elterngeld auf der Grundlage der von dieser im Zeitraum von 12 Kalendermonaten vor der Geburt des Kindes erzielten Einkünfte aus Erwerbstätigkeit zu gewähren. Die Beklagte habe den Elterngeldanspruch der Klägerin nach Auffassung der Kammer auf Grundlage der von der Klägerin erzielten Einkünfte in dem Zeitraum von zwölf Kalendermonaten vor der Geburt des Kindes zu gewähren. Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 und 2 ...

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