Entscheidungsstichwort (Thema)

Rentenversicherung. Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Bezugsberuf nach längerer Arbeitslosigkeit. Umschulungsmaßnahme

 

Leitsatz (amtlich)

Der maßgebliche Bezugsberuf für die Feststellung eines Rehabilitationsbedarfs kann sich ausnahmsweise durch Zeitablauf ändern. Anknüpfungspunkt bei Versicherten, die in den letzten zehn Jahren oder noch länger (wie hier konkret: über 16 Jahre) vor der Antragstellung für Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben arbeitslos waren, ist ausnahmsweise nicht der zuletzt ausgeübte Beruf, sondern der allgemeine Arbeitsmarkt.

 

Orientierungssatz

Teilhabeleistungen durch den Rentenversicherungsträger kann nur der Versicherte beanspruchen, dessen Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung erheblich gefährdet ist. Unter Krankheit ist ein regelwidriger körperlicher, geistiger oder seelischer Zustand zu verstehen. Das Bundessozialgericht (BSG) präzisiert den Begriff der Erwerbsfähigkeit als Fähigkeit des Versicherten, seinen bisherigen Beruf oder seine bisherige Tätigkeit weiter ausüben zu können (vgl BSG vom 29.3.2006 - B 13 RJ 37/05 R = SozR 4-2600 § 10 Nr 1 und vom 17.10.2006 - B 5 RJ 15/05 R = SozR 4-2600 § 10 Nr 2).

 

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Chemnitz vom 3. September 2012 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in Form einer Umschulung oder einer Weiterbildungsmaßnahme anstatt der bewilligten Leistung in Form eines Eingliederungszuschusses.

Der 1963 geborene Kläger absolvierte, nach Beendigung der allgemeinen zehnklassigen Schulausbildung, von September 1979 bis Juli 1981 eine Berufsausbildung zum Agrochemiker, die er mit Facharbeiterzeugnis vom 15. Juli 1981 abschloss. Er war von August 1981 bis 1985 als Facharbeiter für Pflanzenschutz, im Jahr 1986 als Papierhersteller, von 1986 bis 1987 als Facharbeiter für Pflanzenschutz, von 1988 bis 1989 als Heizer sowie von 1989 bis 1991 als Maschinist für Förderanlagen beschäftigt. Anschließend bestand Arbeitslosigkeit, die von Juli bis August 1994 durch eine Tätigkeit als Kraftfahrer, in den Jahren 1994 bis 1996 durch eine von der Beklagten geförderte und vom Kläger nicht beendete Umschulung zum Industriemechaniker, in der Zeit von Oktober 1995 bis Januar 1996 durch einen von der Beklagten geförderten Rehabilitationsvorbereitungslehrgang sowie im Jahr 1999 durch eine vom Arbeitsamt geförderte Arbeitsbeschaffungsmaßnahme als Holzarbeiter unterbrochen wurde. In den Jahren 2001 bis 2006 pflegte er seine Mutter bis zum Eintritt deren Todes. Er ist weiterhin beschäftigungssuchend und bezieht seit Januar 2005 Arbeitslosengeld II.

Auf den am 9. März 2011 gestellten Antrag auf Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in Form beruflicher Rehabilitation bewilligte die Beklagte, nach Beiziehung des Rehabilitationsentlassungsberichtes der Sachsenklinik B.. L… GmbH vom 29. März 2011, mit Bescheid vom 12. Mai 2011 Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben dem Grunde nach und erklärte sich bereit einen Eingliederungszuschuss an einen potentiellen Arbeitgeber zu zahlen. Voraussetzung hierfür sei, dass ein Arbeitgeber die zum Erreichen der vollen Leistungsfähigkeit notwendigen beruflichen Kenntnisse und Fertigkeiten am Arbeitsplatz vermittle oder einen dem Leistungsvermögen angemessenen Dauerarbeitsplatz biete.

Hiergegen legte der Kläger am 31. Mai 2011 mit der Begründung Widerspruch ein, er finde wegen seiner körperlichen Beschwerden keinen Beruf auf dem Arbeitsmarkt und wolle einen neuen Beruf erlernen, zum Beispiel im Bereich der Informatik, Geräteeinstellung, Elektronik oder Elektrotechnik. Nach Durchführung eines Beratungsgespräches am 20. Juni 2011 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 20. Oktober 2011 den Widerspruch zurück und führte zur Begründung aus: Ein Anspruch auf Umschulung bestehe nicht. Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in Form der begehrten Umschulung würden eine Erfolgsprognose für die Maßnahme voraussetzen. Die Erfolgsprognose setze eine positive Einstellung (Motivation) des Rehabilitanden voraus. Daher seien die Rentenversicherungsträger befugt, die Durchführung einer Rehabilitationsleistung mangels positiver Erfolgsprognose abzulehnen, wenn der Versicherte nicht bereit sei, an der Leistung mitzuwirken, insbesondere wenn er zuvor bereits mehrfach eine Leistung zur Teilhabe abgebrochen habe. Der Kläger habe im Jahr 1994 eine bewilligte Weiterbildung nicht angetreten, im Jahr 1996 eine durchgeführte Weiterbildung abgebrochen und eine in der Zeit vom 17. Juli 2000 bis 16. Januar 2001 absolvierte Integrationsmaßnahme nur problembehaftet durchgeführt. Insofern bestünde keine Erfolgsaussicht hinsichtlich der erneut begehrten Umschulung.

Die hiergegen am 28. Oktober 2011 erhobene Klage hat das Sozialgericht Chemnitz, nach ...

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