Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe. Eingliederungshilfe. Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung. Übernahme der Kosten für einen Gebärdensprachdolmetscher. Nachrang der Sozialhilfe. Bestimmung des Kernbereichs pädagogischer Arbeit

 

Leitsatz (amtlich)

1. Zur Übernahme von Kosten für einen Gebärdendolmetscher im Schulunterricht als Eingliederungshilfe für behinderte Menschen.

2. Zur Abgrenzung von sozialhilferechtlicher Eingliederungshilfe und dem Kernbereich pädagogischer Tätigkeit.

 

Tenor

I. Die Beschwerden des Antragsgegners und des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Dresden vom 5. September 2019 werden zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten für die Beschwerdeverfahren sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I.

Der Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Übernahme von Kosten für einen Gebärdendolmetscher in Deutscher Gebärdensprache (DGS) im Schulunterricht für das Schuljahr 2019/2020 als Eingliederungshilfe für behinderte Menschen nach dem Sechsten Kapitel des Sozialgesetzbuchs Zwölftes Buch (SGB XII).

Dem 2006 geborenen, gehörlosen Antragsteller wurden ein Grad der Behinderung von 100 sowie die Merkzeichen G, H, RF und Gl zuerkannt. Er wohnt mit seinem erwerbstätigen Vater und seiner Schwester, beide ebenfalls hörbeeinträchtigt, in A... und besucht die Klassenstufe 5L/6L der "J...-Schule" für Hörgeschädigte in C..., nachdem er im vorangegangenen Schuljahr in der vierten Klassenstufe ein Dehnungsjahr in Anspruch genommen hat.

Für das vorangegangene Schuljahr hatten der Antragsteller und seine ebenfalls gehörlose Schwester beim Antragsgegner den Einsatz eines unterrichtsbegleitenden Gebärdendolmetschers sowie die Gewährung eines Hausgebärdensprachkurses beantragt, was der Antragsgegner mit Bescheid vom 29.11.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.04.2019 ablehnte. Den nachfolgend im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes verfolgten Antrag vom 09.04.2019 auf einen unterrichtsbegleitenden DGS-Dolmetscher lehnte das Sozialgericht Dresden (SG) mit Beschluss vom 16.05.2019 (S 28 SO 93/19 ER) mit der Begründung ab, dass ein Anordnungsanspruch, insbesondere ein hinreichendes Gebärdenverständnis des Antragstellers, um einem Dolmetscher folgen zu können, nicht hinreichend glaubhaft gemacht worden sei. Die hiergegen gerichtete Beschwerde blieb erfolglos (Beschluss des erkennenden Senats vom 04.07.2019, L 8 SO 48/19 B ER).

Den zeitlich danach bei Gericht geltend gemachten Hausgebärdensprachkurs (S 28 SO 171/19 ER) bewilligte der Antragsgegner mit Bescheid vom 23.07.2019 beginnend ab dem 29.07.2019 für je zwei Stunden für beide Geschwister, weiter ausgehend von der Annahme, dass beide Kinder über kein ausreichendes DGS-Verständnis verfügten und ein weiteres Erlernen der Gebärdensprache als Muttersprache erforderlich sei.

Am 12.07.2019 stellte der Vater des Antragstellers erneut beim Antragsgegner für das Schuljahr 2019/2020, in dem der Antragsteller die Klasse 5L/6L der genannten Schule mit einem Stundenplan von wöchentlich 27 Unterrichtsstunden besucht, einen Antrag auf Kostenübernahme für einen Gebärdendolmetscher im Schulunterricht. Dem Antrag fügte er eine befürwortende Stellungnahme der neuen Klassenlehrerin, die selbst keine ausreichenden DGS-Kompetenzen besäße, bei.

Der Antragsgegner lehnte den Antrag mit Bescheid vom 12.08.2019 mit der Begründung ab, dass ihm nach dem vorangegangenen Verwaltungsverfahren und den Gerichtsverfahren S 28 SO 93/19 ER und L 8 SO 48/19 B ER keine neuen Erkenntnisse vorlägen.

Nach der zuvor mit Schreiben vom 24.07.2019 erfolgten Ankündigung des Antragsgegners, den Antrag auch für das neue Schuljahr ablehnen zu wollen, hat der Antragsteller am 07.08.2019 beim SG Dresden erneut im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Kostenübernahme für einen Gebärdendolmetscher (DGS) für den Besuch der "J...-Schule" im Schuljahr 2019/2020 beantragt. Der Unterricht an der Schule werde nur zu einem geringen Anteil in DGS erbracht. Da die Schule den Unterricht konzeptionell überwiegend in Lautsprache abhalte, könne er dem Unterrichtsgeschehen nicht folgen. Der Antragsteller benötige in allen Schulstunden außer dem DGS-Unterricht am Dienstag und Donnerstag sowie dem Englisch-Unterricht am Mittwoch einen DGS-Dolmetscher.

Das SG hat eine Stellungnahme der Schulleitung der Schule für Hörgeschädigte "J...-Schule" vom 28.08.2019 über die Stundenpläne und die DGS-Fähigkeiten der eingesetzten Lehrkräfte und Dozenten eingeholt.

Mit Beschluss vom 05.09.2019 hat das SG den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, im Rahmen der Eingliederungshilfe die Kosten eines DGS-Gebärdendolmetschers für den Zeitraum 09.09.2019 bis 07.02.2020 in einem wöchentlichen Umfang von maximal 15 Zeitstunden, zuzüglich Fahrtzeiten von maximal vier Stunden wöchentlich und notwendige Fahrtauslagen, zu übernehmen. Der Antragsteller könne die Kostenübernahme für einen Gebärdendolmetscher gemäß §§ 53, 54 Abs. 1 SGB XII, § 12 Eingliederungshilfeverordnung (EinglHV...

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