Entscheidungsstichwort (Thema)

Sachgruppenvergleich beim Günstigkeitsprinzip. Kein Entgeltcharakter des Urlaubs- und Weihnachtsgeldes im RTV Telekommunikation. Tarifliche Öffnungsklausel für ergänzende Betriebsvereinbarungen. Keine Verzugspauschale im Arbeitsgerichtsprozess

 

Leitsatz (redaktionell)

Die arbeitsvertraglichen Regelungen über das Arbeitsentgelt finden keine Anwendung, denn sie sind nicht günstiger als die Arbeitsentgeltregelungen des kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit für das Arbeitsverhältnis der Parteien normativ geltenden RTV Telekommunikation. Eine Kollision der Regelwerke ist nach dem Günstigkeitsprinzip des § 4 Satz 3 TVG zu lösen (BAG 22. August 2018 - 5 AZR 551/17 - Rn. 13 NZA 2019, 51; BAG 15. April 2015 - 4 AZR 587/13 - Rn. 27, BAGE 153, 221). Bei der Prüfung der Günstigkeit kommt weder ein punktueller Vergleich von Einzelregelungen noch ein Gesamtvergleich in Betracht. Anzustellen ist vielmehr ein Sachgruppenvergleich, bei dem die durch Auslegung zu ermittelnden Teilkomplexe der unterschiedlichen Regelungen, die in einem inneren Zusammenhang stehen, verglichen werden. Maßgebend sind bei dem anhand eines objektiven Beurteilungsmaßstabs vorzunehmenden Günstigkeitsvergleich die abstrakten Regelungen und nicht das Ergebnis ihrer Anwendung im Einzelfall. Ist objektiv nicht zweifelsfrei feststellbar, dass die vom normativ geltenden Tarifvertrag abweichende Regelung für den Arbeitnehmer günstiger ist - sei es, weil es sich um eine "ambivalente", sei es, weil es sich um eine "neutrale" Regelung handelt -, verbleibt es bei der zwingenden Geltung des Tarifvertrages (BAG 22. August 2018 a. a. O. Rn. 14 m. w. N.).

2. Eine Auslegung des § 18 Nr. 1 RTV Telekommunikation ergibt, dass das Urlaubsgeld unabhängig von der Arbeitsleistung und damit ohne Entgeltcharakter gezahlt wird. Es handelt sich um eine Treueprämie, die nur an den Bestand des Arbeitsverhältnisses geknüpft ist. Dies ergibt sich insbesondere aus § 18 Nr. 1 Abs. 3 Telekommunikation, wonach Voraussetzung für das Urlaubsgeld ein am 30. Juni bestehendes Arbeitsverhältnis, das weder von dem Beschäftigten noch aus verhaltensbedingten Gründen von dem Arbeitgeber gekündigt wurde, ist. Das Anknüpfen an ein bestehendes Arbeitsverhältnis spricht dafür, dass das Urlaubsgeld nicht im Synallagma zur erbrachten Arbeitsleistung steht (so für die AGB-Kontrolle eines Arbeitsverhältnisses BAG 22. Juli 2014 - 9 AZR 981/12 - NZA 2014, 1136; so auch für eine "Anrechnung" auf den Mindestlohn BAG 20. September 2017 - 10 AZR 171/16 - NZA 2018, 53; BAG 25. Mai 2016 - 5 AZR 135/16 - BAGE 155, 202). Entsprechendes gilt für das Weihnachtsgeld. Nach § 18 Nr. 2 Abs. 6 RTV Telekommunikation ist das Weihnachtsgeld zurückzuzahlen, wenn der Beschäftigte nach Empfang der Leistung und vor Ablauf des 31. März des der Zahlung folgenden Kalenderjahres durch eigene Kündigung oder aufgrund einer Kündigung des Arbeitgebers aus verhaltensbedingten Gründen ausscheidet. Mit dem Weihnachtsgeld wird nicht auch Entgelt für geleistete Arbeit, sondern nur eine Leistung für die Betriebstreue anknüpfend an den Bestand und den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses geleistet.

3. Nach § 77 Abs. 3 Satz 2 BetrVG kann ein Tarifvertrag den Abschluss ergänzender Betriebsvereinbarungen auch über Arbeitsentgelte ausdrücklich zulassen. Die Tarifvertragsparteien können eine Betriebsvereinbarung auch rückwirkend genehmigen (BAG 20. April 1999 - 1 AZR 633/98 - BAGE 91, 244). Ob sie eine rückwirkende Genehmigung wollten, ist durch Auslegung zu ermitteln. Jedenfalls kann im vorliegenden Fall von einer rückwirkenden Genehmigung deshalb nicht ausgegangen werden, weil es sich um eine nach § 77 Abs. 3 BetrVG unwirksame Betriebsvereinbarung handelt. Anhaltspunkte dafür, dass die Tarifvertragsparteien in § 18 Nr. 4 RTV Telekommunikation eine unwirksame Betriebsvereinbarung genehmigen wollten, bestehen nicht.

4. Ein Anspruch auf die geltend gemachte Verzugspauschale nach § 288 Abs. 5 Satz 1 BGB besteht nicht. § 12 a Abs. 1 Satz 1 ArbGG schließt als spezielle arbeitsrechtliche Regelung nicht nur einen prozessualen Kostenerstattungsanspruch, sondern auch einen materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruch für bis zum Schluss einer eventuellen ersten Instanz entstandenen Beitreibungskosten und damit insoweit auch einen Anspruch auf Pauschalen nach § 288 Abs. 5 Satz 1 BGB aus (BAG 25. September 2018 - 8 AZR 26/18 - NZA 2019, 121).

 

Normenkette

TVG § 4 Abs. 3; BetrVG § 77 Abs. 3; RTV TK 2016; RTV Telekommunikation § 18 Nrn. 1-2; BGB § 288 Abs. 5 S. 1; ArbGG § 12a Abs. 1 S. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Leipzig (Entscheidung vom 18.05.2018; Aktenzeichen 5 Ca 4006/17)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Leipzig vom 18. Mai 2018 - 5 Ca 4006/17 - unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen teilweise

a b g e ä n d e r t :

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 2.333,92 € brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 1. Juli 2017 zu bezahlen...

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