Entscheidungsstichwort (Thema)

Zulässigkeit der Absenkung der Wochenarbeitszeit auf 35 Wochenstunden durch Betriebsvereinbarung

 

Leitsatz (redaktionell)

Überschneiden sich in einem Betrieb nicht inhaltsgleiche Tarifverträge verschiedener Gewerkschaften, von denen einer eine Öffnungsklausel hinsichtlich einer Vereinbarung der Arbeitszeit durch Betriebsvereinbarung enthält, der andere hingegen nicht, so ist diese Kollision dahingehend aufzulösen, dass nur die Rechtsnorm des Tarifvertrages derjenigen Gesellschaft anzuwenden sind, die zum Stichtag im Wahlbetrieb die meisten in einem Arbeitsverhältnis stehenden Mitglieder hatte.

 

Normenkette

BeamtVG § 77 Abs. 3; TVG § 4a Abs. 2 Sätze 2-3

 

Verfahrensgang

ArbG Dresden (Entscheidung vom 14.09.2016; Aktenzeichen 7 Ca 1064/16)

 

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Dresden vom 14.09.2016 - 7 Ca 1064/16 - wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

2. Die Revision wird für die Beklagte zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten im Zusammenhang mit Differenzlohnforderungen des Klägers für die Monate Februar bis April 2016 über die Frage, ob für den Beschäftigungsbetrieb des Klägers die durchschnittliche Wochenarbeitszeit von 39 Wochenstunden durch Betriebsvereinbarung befristet auf 35 Wochenstunden abgesenkt werden durfte.

Die Beklagte betreibt im Konzern der ... AG u.a. schienengebundenen Personennahverkehr in Deutschland. Sie ist tarifgebundenes Mitglied im Arbeitgeber-und Wirtschaftsverband der Mobilitäts- und Verkehrsdienstleister e.V. (AgvMoVe). In Anwendung von § 3 Abs. 1 Nr. 1 b) BetrVG sind in ihrem Unternehmen zur Wahl von Betriebsräten durch Tarifvertrag betriebsverfassungsrechtliche Organisationseinheiten geschaffen worden, u.a. der Wahlbetrieb ....

Der AgvMoVe schließt Tarifverträge sowohl mit der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) als auch mit der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG). Mit der GDL schloss der AgvMoVe unter dem 30.06.2015 den zum 01.07.2015 in Kraft getretenen Tarifvertrag für Lokomotivführer von Schienenverkehrsunternehmen des AgvMoVe (LfTV), der gemäß seines § 1 Abs. 1 Lit. b) i.V.m. Anlage 1 betrieblich u.a. für die Beklagte gilt. Unter § 46 LfTV ist unter der Überschrift "Individuelles regelmäßiges Jahresarbeitszeit-Soll" u.a. Folgendes bestimmt:

Hinweis zu § 46 Abs. 1:

Abs. 1 hat Vorrang vor der Bestimmung des § 3 Abs. 1 Buchst. b BuRa-ZugTV Agv MoVe; insoweit findet § 3 Abs. 1 Buchst. b BuRa-ZugTV Agv MoVe für den Geltungsbereich des LfTV keine Anwendung.

(1) Als Vollzeitarbeit gilt eine - auf Basis beiderseitiger Freiwilligkeit - individuell vereinbarte Arbeitszeit von 1.827 bis 2.088 Stunden (individuelles regelmäßiges Jahresarbeitszeit-Soll) ausschließlich der gesetzlichen Ruhepausen im Kalenderjahr (Abrechnungszeitraum). (...)

Mit der EVG vereinbarte der AgvMoVe eine "Grundsatzregelung zur gemeinsamen Gestaltung der Personal-, Sozial- und Tarifpolitik in den Unternehmen des DB Konzerns" (DemografieTV). Darin ist in § 12 unter der Überschrift "Kollektive Arbeitszeitreduzierung zur Beschäftigungssicherung" u.a. Folgendes bestimmt:

(1) Zur Sicherung der Beschäftigung können die Betriebspartner für den gesamten Betrieb, einzelne Bereiche, Funktionen und/oder Gruppen von Arbeitnehmern in einer freiwilligen Betriebsvereinbarung oder in einem einvernehmlich vereinbarten Interessenausgleich eine von der jeweiligen Referenz- oder Regelarbeitszeit abweichende niedrigere Arbeitszeit vereinbaren. (...)

(3) Die Betriebspartner können ohne Zustimmung der Tarifvertragsparteien die Regelarbeitszeit auf bis zu 1.827 Std. pro Jahr bzw. 35 Std. pro Woche unter entsprechend proportionaler Anpassung des Entgelts reduzieren.

(4) Der Arbeitnehmer hat bei einer kollektiven Arbeitszeitreduzierung der Betriebspartner Anspruch auf einen monatlichen Entgeltausgleich. Dieser beträgt (...).

Unter dem 07.01.2016 unterzeichneten die Beklagte und der Betriebsrat des Wahlbetriebes ... für die Zeit vom 01.02. bis 31.12.2016 eine für alle Arbeitnehmer der Berufsgruppe Triebfahrzeugführer geltende "Freiwillige Betriebsvereinbarung zur abweichenden Gestaltung der Arbeitszeit gemäß Abschnitt C Kapitel 2 Unterabschnitt III § 12 DemoTV" (Anlage B 3 zum Schriftsatz der Beklagten vom 18.07.2016; Bl. 53 ff. d. A.). In deren § 2 Abs. 1 ist unter der Überschrift "Abweichende Arbeitszeit" Folgendes bestimmt:

"Für die vom Geltungsbereich dieser BV erfassten Arbeitnehmer gilt eine abweichende Arbeitszeit von 1.827 Stunden pro Jahr, was durchschnittlich 35 Stunden pro Woche entspricht."

Der Kläger ist Mitglied der GDL. Er ist bei der Beklagten in deren Wahlbetrieb ... als Triebfahrzeugführer mit einer Jahresarbeitszeit von 2.036 Stunden bzw. einer durchschnittlichen regelmäßigen Arbeitszeit von 39 Wochenstunden beschäftigt. In der Zeit vom 01.02. bis 30.04.2016 beschäftigte die Beklagte den Kläger in Anwendung der Betriebsvereinbarung vom 07.01.2016 mit einer reduzierten Arbeitszeit von durchschnittlich 35 Wochenstunden und zahlte ihm für die Mona...

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