rechtskräftig

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Nicht ins Handelsregister eingetragener Handwerksbetrieb mit einem Jahresumsatz von knapp 250.000 Euro als Handelsgewerbe i. S. d. § 1 Abs. 2 HGB. Merkmale einer haftungsbegründenden Unternehmensfortführung i. S. d. § 25 HGB

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Ein in die Handwerksrolle, nicht aber in das Handelsregister eingetragener Betrieb mit einer umfangreichen Lagerhaltung, der neben dem Einbau von Schlössern, Schließanlagen, sonstigen Einbruchssicherungen, dem Führen von Schließakten, dem Fertigen von Nachschlüsseln, Briefkastenanlagen, Beschilderungen und sonstigen Gravuren u.a. einen Schlüsselnotdienst anbietet, mit Briefkästen, Schlüsseln, Schlössern, Pokalen und Schildern handelt und einen Jahresumsatz von knapp 250.000 Euro erzielt, erfordert einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb und ist ungeachtet dessen ein Handelsgewerbe i.S. von § 1 Abs. 2 HGB, dass er nur drei Angestellte hat und Größe sowie Organisation der Betriebsstätte überschaubar sind.

2. Es kann auch dann von einer haftungsbegründenden Unternehmensfortführung i. S. d. § 25 HGB auszugehen sein, wenn der bisherige Inhaber zwar nach Übertragung des Eigentums am Betriebsgrundstück auf die Ehefrau seinen Betrieb (siehe unter 1.) unter Kündigung der bisherigen Angestellten beendet hat, die Ehefrau nunmehr jedoch im Betriebsgebäude nach Anstellung neuer Arbeitskräfte dieselben Tätigkeitsbereiche wie zuvor der Ehemann anbietet und u. a. dem wichtigsten Kunden lediglich eine Unternehmensumstrukturierung suggeriert, die auf dem Briefkopf ihres Ehemannes, auf dessen Visitenkarten und im Geschäftsverkehr verwendeten Unternehmensbezeichnungen samt Firmenlogo, Excel-Tabellen zur Zahlungsüberwachung und zum Mahnwesen sowie das betriebliche Fahrzeug für den Schlüsselnotdienst weiter verwendet, offene Forderungen aus dem Betrieb des Ehemanns einzieht, und wenn sich der Kunden- und Lieferantenkreis nicht wesentlich ändert.

3. § 25 Abs. 1 S. 1 HGB gelangt auch dann zur Anwendung, wenn eine „sukzessiv erfolgende Unternehmensübernahme” vorliegt, es also zeitweilig zu einer parallelen Existenz von Alt- und Neuunternehmen kommt, sofern sich für den Rechtsverkehr die Betätigung des übernehmenden Unternehmens als Weiterführung des ursprünglichen Unternehmens in seinem wesentlichen Bestand darstellt.

 

Normenkette

HGB § 25 Abs. 1 S. 1, § 1 Abs. 2; AO § 191 Abs. 1 S. 1

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die Klägerin für die Steuerschulden ihres Ehemannes nach § 25 Abs. 1 Satz 1 Handelsgesetzbuch – HGB – haftet, weil sie sein Handelsgeschäft unter der bisherigen Firma fortführte.

Der Ehemann der Klägerin, H. B., war bis zum 31.03.2008 als Einzelunternehmer unter der Firmenbezeichnung „B.-Fachbetrieb für Einbruchschutz, Schließanlagen – Briefkästen – Tresore – Schloss- & Schlüsselcenter” tätig. Neben den Einbau von Schlössern, Schließanlagen, sonstigen Einbruchssicherungen, dem Fertigen von Nachschlüsseln, Briefkastenanlagen, Beschilderungen und sonstigen Gravuren bot er einen Schlüsselnotdienst an und handelte mit Briefkästen, Schlüsseln, Schlössern, Pokalen und Schildern. Er beschäftigte zwei Monteure und zeitweise eine Bürokraft. Zudem arbeitete die Klägerin im Unternehmen mit. Im Handelsregister war er nicht eingetragen. Teilweise wurden auch die Bezeichnungen „B.Fachhandel” und „B.Sicherheitstechnik” im Geschäftsverkehr verwandt. Den größten Teil seiner Umsätze erzielte er mit Dauerkunden. So erstellte er Schließpläne, fertigte Schließanlagen, führte Schließakten und lieferte im Bedarfsfall Nachschlüssel für die S.-Bank, die E.-Bank, die H.-Bank und verschiedene Hausverwaltungen sowie deutschlandweit für die I.-Heimwerkermärkte. Ferner führte er Türöffnungen für die Polizei, die Vollstreckungsstelle des Finanzamts und für das Zollfahndungsamt durch. Sein Unternehmen führte er vom Grundstück H.-Str. in D. aus, auf dem sich ein Betriebsgebäude mit Verkaufsraum, Werkstatt, Lager und Toiletten im Erdgeschoss und Büroräumen, einer Toilette, einem Ausstellungsraum für Briefkästen und einem Raum für die Ablage der Schließakten befand. In einem zweiten Gebäude auf dem Grundstück befand sich im Erdgeschoss eine Werkstatt und ein Verkaufsraum, die nicht für den Betrieb genutzt wurden, sowie im Obergeschoss eine Wohnung. Das Grundstück befand sich im Eigentum des H. B., der es einschließlich des betrieblich genutzten Gebäudes als Privatvermögen betrachtete. Bei einer Betriebsbesichtigung durch die Betriebsprüfung des Finanzamtes am 03.06.2009 war ein umfangreicher Lagerbestand an Zylinder- und Schlüsselrohlingen, Blenden, Pokalen und sonstigem Zubehör, insgesamt über 100.000 Teile, vorhanden. Nach der beim Finanzamt eingereichten Einnahmeüberschussrechnung betrugen die Umsatzerlöse des Ehemannes der Klägerin 2007 rund 112.000 EUR, während Ausdrucke der von der Steuerfahndung in elektronischer Form erhobenen Kontobewegungen der drei 2007 vorhandenen G...

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