Leitsatz (amtlich)

1. Wird bei der Abwägung der beiderseitigen Verursachungs-und Verschuldensbeiträge zulasten eines Unfallbeteiligten ein Überholen im Überholverbot berücksichtigt, so darf nicht offen bleiben, auf welcher Fahrbahn sich die Kollision ereignet hat, mithin ob das überholte Fahrzeug selbst einen Fahrbahnwechsel vorgenommen hat.

2. Gehen einem Unfallgeschehen beiderseitige, eskalierende Verkehrsverstöße der Unfallbeteiligten voraus (hier: beiderseitige Überholmanöver nach Art eines Wettrennens), sind für die Haftungsquote, insbesondere für die

Überholmanövern eine bewusste Lenkbewegung nach links aus, um den Überholversuch eines Kraftradfahrers zu unterbinden, kann eine darin zum Ausdruck kommende rücksichtslose und grob verkehrswidrige Gesinnung des Pkw-Fahrers die auf Seiten des Kraftrads allein in die Abwägung einzustellende Betriebsgefahr dahinter im Einzelfall gänzlich zurücktreten lassen.

 

Verfahrensgang

LG Saarbrücken (Urteil vom 14.08.2015; Aktenzeichen 15 O 170/14)

 

Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des LG Saarbrücken vom 14.08.2015 (15 O 170/14) wie folgt abgeändert und neu gefasst:

Die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner an den Kläger 1.631,80 Euro zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 6.8.2014 zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger sämtliche materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, welche aus dem Unfallereignis vom 12.10.2013, 14.30 Uhr, auf der L 125 von Neunkirchen kommend Richtung Bildstock, ca. 1,5 km vor Bildstock, 66538 Neunkirchen resultieren, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.

Die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner an den Kläger vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 958,19 Euro zu zahlen.

II. Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Beklagten als Gesamtschuldner.

III. Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Der Kläger macht Ansprüche auf Grund eines Verkehrsunfalls geltend, der sich am XX. XX. XXXX gegen 14.15 Uhr auf der L 125 zwischen N. und B. ereignet hat. Der Kläger befuhr mit seinem Motorrad Kawasaki mit dem amtlichen Kennzeichen XX-X XXX die L 125 aus N. kommend in Richtung B. Vor ihm fuhr der Beklagte zu 1) mit dem bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversicherten Pkw Toyota Verso mit dem amtlichen Kennzeichen XX-XX XX in gleicher Fahrtrichtung. Bei dem Versuch des Klägers, den Pkw des Erstbeklagten zu überholen, kam es zu einer Kollision beider Fahrzeuge, deren Einzelheiten streitig sind. Der Kläger kam infolge der Kollision zu Fall und erlitt schwere Verletzungen.

Beide Fahrzeuge hatten sich vor dem Unfallereignis bereits wechselseitig überholt: Zuerst hatte der Kläger den Erstbeklagten im Stadtbereich von Neunkirchen in der Königsbahnstraße überholt, worauf der Erstbeklagte mit Hand- und Lichtzeichen sowie Hupen reagiert hatte. Nachdem der Kläger anschließend auf der L 125 auf ca. 100 km/h beschleunigt hatte, überholte der Erstbeklagte den Kläger, scherte unmittelbar vor ihm ein und bremste stark ab.

Etwa 400-500 m weiter, etwa 1,5 km vor dem Ortseingang B., setzte der Kläger zum Überholen an. An dieser Stelle befindet sich in der Fahrbahnmitte eine durchgehende Linie nach Zeichen 295 der Anlage 2 zu § 41 Abs. 1 StVO; eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 50 km/h ist angeordnet. Bei dem Versuch des Klägers, den Pkw des Erstbeklagten zu überholen, kollidierten die beiden Fahrzeuge. Der Kläger kam zu Fall und rutschte nach links in den angrenzenden Straßengraben, wo er mit seinem totalgeschädigten Motorrad nach ca. 20 m zum Liegen kam.

Der Kläger wurde bei dem Unfall schwer verletzt; u.a. erlitt er eine instabile Fraktur des 7. Brustwirbels, die operativ behandelt werden musste; er wurde drei Wochen in ein künstliches Koma versetzt und leidet weiterhin an den Unfallfolgen. Mit dem Klageantrag zu 1) hat der Kläger den Ersatz seines Sachschadens geltend gemacht, den er - von den Beklagten unbestritten - mit insgesamt 4.631,80 Euro beziffert (Wiederbeschaffungswert des Motorrads 2.900 Euro, Abschleppkosten 264,76 Euro und 85 Euro, Zeitwert der beschädigten Kleidung und des Helmes 800 Euro sowie Sachverständigenkosten 552,04 Euro und eine Kostenpauschale von 30 Euro), die er abzüglich der von der Zweitbeklagten hierauf vorgerichtlich erbrachten Zahlung von 3.000 Euro geltend macht. Mit dem Klageantrag zu 2) begehrt der Kläger die Feststellung der vollumfänglichen Ersatzpflicht beider Beklagten als Gesamtschuldner für die Unfallfolgen.

Der Beklagte zu 1) wurde vom AG Neunkirchen mit rechtskräftigem Urteil vom 31.7.2014 wegen fahrlässiger Straßenverkehrsgefährdung gem. § 315c Abs. 1 Nr. 2b, Abs. 3 Nr. 1 StGB in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen verurteilt und die Fahrerlaubnis bei Anordnung einer neunmonatigen Sperre entzogen. Zur Beg...

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