Leitsatz (amtlich)

1. Ein schuldhafter Verstoß gegen die Wartepflicht gemäß § 9 Abs. 3 Satz 1 StVO ist nur festzustellen, wenn bei Beginn des Abbiegevorgangs Gegenverkehr bereits sichtbar ist, was im Bestreitensfall vom geschädigten Geradeausfahrer zu beweisen ist.

2. Bei Dunkelheit und Regen muss ein Linksabbieger nicht (mehr) mit Verkehrsteilnehmern rechnen, die auf einer Straße mit erhöhtem Verkehrsaufkommen ohne Beleuchtung fahren.

3. Auch im Rahmen des § 9 Abs. 3 Satz 1 StVO kann die zur Anwendung des Anscheinsbeweises erforderliche Typizität nur auf Grund einer umfassenden Betrachtung aller tatsächlichen Elemente des Gesamtgeschehens beurteilt werden.

 

Verfahrensgang

LG Saarbrücken (Urteil vom 09.02.2017; Aktenzeichen 4 O 32/16)

 

Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 09.02.2017 (Aktenzeichen 4 O 32/16) unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels teilweise abgeändert:

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 5.676,31 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 18.02.2016 zu zahlen und den Kläger von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten der Rechtsanwälte ...pp. in S. in Höhe von 571,44 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 18.02.2016 freizustellen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz haben der Kläger zu 56 v. H. und die Beklagten als Gesamtschuldner zu 44 v. H. zu tragen. Die Kosten des Berufungsverfahrens haben der Kläger zu 11 v. H. und die Beklagten als Gesamtschuldner zu 89 v. H. zu tragen.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Am 20.11.2015 zwischen 16.30 und 17.00 Uhr ereignete sich im Einmündungsbereich der Straße "Am alten Bahnhof" in die Bahnhofstraße in S. ein Verkehrsunfall, an dem der Kläger als Eigentümer, Fahrer und Halter des Pkw Peugeot 508 mit dem amtlichen Kennzeichen XXX-XXXXX und der Beklagte zu 1 als Fahrer und Halter des bei der Beklagten zu 2 haftpflichtversicherten Pkw Ford Focus mit dem amtlichen Kennzeichen XXX-XXXX beteiligt waren. Die beiden Pkw stießen zusammen, als der Kläger von der Bahnhofstraße aus nach links in die Straße Am alten Bahnhof abbiegen wollte, während der Beklagte zu 1 die aus Fahrtrichtung des Klägers aus gesehen hinter der Straße Am alten Bahnhof befindliche Tankstelle verließ und entgegen der Fahrtrichtung des Klägers die Bahnhofstraße befuhr. Der Kläger forderte die Beklagte zu 2 mit Anwaltsschreiben vom 01.12.2015 zum Schadensersatz in Höhe von 12.562,99 EUR für den Sachschaden an seinem Fahrzeug und von Rechtsanwaltskosten in Höhe von 958,19 EUR an seine jetzigen Prozessbevollmächtigten auf.

Der Kläger hat die Beklagten auf Schadensersatz in Höhe von insgesamt 12.795,04 EUR in Anspruch genommen. Dieser Betrag setzt sich aus Nettoreparaturkosten in Höhe von 12.532,99 EUR, einer Auslagenpauschale in Höhe von 30 EUR und Sachverständigenkosten in Höhe von 232,05 EUR zusammen. Außerdem hat der Kläger Freistellung von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 958,19 EUR begehrt. Er hat behauptet, sein Fahrzeug an der Mittellinie der Bahnhofstraße angehalten zu haben, um nach links in die Straße Am alten Bahnhof einzubiegen. Entgegen der Angabe in der Ermittlungsakte habe er nicht in der Einmündung, sondern in der Straße Am alten Bahnhof wenden wollen. Er habe mit eingeschaltetem Blinker den Gegenverkehr abgewartet und, als das letzte dieser Fahrzeuge an ihm vorbei gewesen sei, sein Fahrzeug aus dem Stillstand angefahren und den Abbiegevorgang begonnen. Der Beklagte zu 1 habe das Tankstellengelände mit hoher Geschwindigkeit verlassen und sei auf das Fahrzeug des Klägers zugefahren. Der Beklagte zu 1 habe allerdings das Fahrlicht nicht eingeschaltet gehabt, so dass sein Fahrzeug für den Kläger auch angesichts der Dunkelheit und des starken Regens nicht sichtbar gewesen sei. Erst nach dem Unfall habe der Beklagte zu 1 sein Fahrlicht eingeschaltet.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger 12.795,04 EUR sowie außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 958,19 EUR - diese zu zahlen an die Rechtsanwälte ...pp. (S.) - jeweils nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.01.2016 aus 12.562,99 EUR und 958,19 EUR und aus 232,05 EUR seit dem 18.02.2016 zu zahlen.

Die Beklagten haben beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie haben behauptet, der Kläger habe nicht an der Mittelinie der Bahnhofstraße angehalten, sondern von einer Stellfläche vor einer Tierarztpraxis aus quer über die Bahnhofstraße fahren wollen, um in der Einmündung der Straße Am alten Bahnhof zu wenden. Den linken Blinker habe der Kläger auch nicht eingeschaltet gehabt. Der Beklagte zu 1 sei mit eingeschalteter Beleuchtung aus dem Tankstellengelände herausgefahren.

Das Landgericht hat den Kläger und den Beklagten zu 1 als Partei angehört (B...

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