Leitsatz (amtlich)

1. Die anlässlich einer Umdeckung erklärte "Kündigung" einer Berufsunfähigkeitsversicherung, deren Wirksamwerden vom Zustandekommen des neuen Vertrages abhängig gemacht wurde, kann als Angebot auf Abschluss eines Aufhebungsvertrages anzusehen sein, auf das der Versicherer durch Annahme der "Kündigung" und des neuen Antrages eingegangen ist mit der Folge, dass sein späterer Rücktritt wegen Verletzung der vorvertraglichen Anzeigeobliegenheit auch diese Aufhebungsvereinbarung erfasst und zur Wiederherstellung des früheren Versicherungsschutzes führt.

2. Ein Berufsunfähigkeitsversicherer kann im Rahmen seiner Beratungspflicht gehalten sein, den Versicherungsnehmer anlässlich einer Umdeckung darauf aufmerksam zu machen, dass die gewählte Art der Vertragsgestaltung - hier: Neuabschluss unter Kündigung des Altvertrages - den bestehenden Versicherungsschutz wegen der dann nachteiligeren Folgen eines etwaigen Rücktritts stärker gefährdet, als ein stattdessen in Betracht zu ziehender Aufhebungsvertrag, und ihn bei unterlassenem Hinweis so zu stellen, als sei ein solcher Aufhebungsvertrag tatsächlich abgeschlossen worden.

 

Normenkette

BGB §§ 133, 157; VVG § 6 Abs. 5, §§ 19, 172

 

Verfahrensgang

LG Saarbrücken (Urteil vom 15.03.2022; Aktenzeichen 14 O 70/20)

 

Tenor

I. Die Berufung der Beklagten gegen das am 15. März 2022 verkündete Urteil des Landgerichts Saarbrücken - 14 O 70/20 - wird zurückgewiesen.

II. Die Kosten des Berufungsverfahrens fallen der Beklagten zur Last.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

V. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 12.106,- Euro festgesetzt.

 

Gründe

I. Die am ... November 1986 geborene Klägerin hat mit ihrer ursprünglich zum Amtsgericht St. Wendel eingereichten Klage erstinstanzlich die Feststellung begehrt, dass ein im Jahre 2017 abgeschlossener Vertrag über eine Berufsunfähigkeitsversicherung mit der Vers.-Nr. ... nicht durch einen auf § 19 Abs. 2 VVG gestützten Rücktritt der Beklagten vom 3. Juni 2019 beendet worden sei, sondern unverändert fortbestehe; hilfsweise hat sie auf Feststellung des Fortbestehens einer zuvor bei der Beklagten unterhaltenen Berufsunfähigkeitsversicherung mit der Vers.-Nr. ... bzw. ... angetragen, allein dieser Hilfsantrag ist noch Gegenstand des vorliegenden Berufungsverfahrens. Sie unterhielt ursprünglich eine Kapitalversicherung auf den Todes- und Erlebensfall mit eingeschlossener Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung (Vers.-Nr. ..., Anlage B 6-13), Versicherungsbeginn war der 1. Dezember 2003, Ablauf der Versicherung der 1. Dezember 2046, die versicherte monatliche Rente wegen Berufsunfähigkeit betrug 1.000,- Euro. Aufgrund eines - mit "BU-Verlängerungsaktion 2014 ohne Risiko-/Gesundheitsprüfung" überschriebenen - Antrages vom 14./22. September 2014 (Anlage B 6-12) wurden "die Zusatzversicherung aus dem Hauptvertrag ausgeschlossen" (Bl. 413 GA; Schreiben vom 6. Oktober 2014, Anlage B 6-10) und ein neuer Versicherungsschein zur selbständigen Berufsunfähigkeitsversicherung Nr. ... am 25. September 2014 durch die Beklagte ausgefertigt; dadurch wurde die Vertragslaufzeit bis zum 31. April 2051 (= Endalter: 65 Jahre) verlängert, die monatliche Rente betrug fortan 1.338,33 Euro, der monatliche Nettobeitrag 102,90 Euro (Versicherungsschein und Beratungsprotokoll als Anlagenkonvolut B6-3; s. auch Bl. 420 ff.). Anfang des Jahres 2017 teilte der Versicherungsvertreter der Beklagten, der Zeuge G., der Klägerin mit, dass es zwischenzeitlich günstigere Verträge bei der Beklagten gebe; der Vorvertrag enthalte noch ungünstigere Bedingungen, daher solle man den Vertrag auf den aktuellen Stand bringen. Auf dessen Anraten hin wurde sodann der Altvertrag mit Schreiben vom 16. Februar 2017 (BI. 14 GA) - wörtlich - "gekündigt"; mit Antragsformular vom 4. März 2017 beantragte die Klägerin bei der Beklagten den Abschluss einer "Berufsunfähigkeits-Vorsorgeversicherung" (BI. 67 ff. GA). Die in dem Antragsformular enthaltenen Gesundheitsfragen 7 bis 10 bejahte die Klägerin nur teilweise, weiterhin heißt es unter dem Stichwort "Besondere Vereinbarungen": "Bei Annahme des eingereichten Antrages, ohne Ausschlüsse oder sonstige Modifikationen, wird die bestehende SBU ... gekündigt. Falls es zu Ausschlüssen oder ähnlichem kommt, ist dieser Antrag nichtig" (Bl. 68 GA). Im Beratungsprotokoll vom 5. März 2017 zur Beratung vom 6. Februar 2017 und zum Antrag vom 10. März 2017 heißt es (wörtlich): "Umstellung auf das neue Bedingungswerk der Z., eine ausführliche Beratung wurde bereits im Vorfeld des alten SBU-Antrags durchgeführt." Außerdem heißt unter dem Stichpunkt "Auf folgende mit der Beitragsfreistellung/Beendigung (wahlweise) evtl. verbundenen Nachteile wurde insbesondere hingewiesen": "siehe separates Kündigungsschreiben im Anhang". Die Agentur reichte den Antrag am 13. März 2017 bei der Beklagten ein (Anlage B6); außerdem übersandte sie ihr das Kündigungsschreiben mit weiterer E-Mail vom 13. März 2017 (im Anlagenkonv...

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