Leitsatz (amtlich)

1. Fährt ein Radfahrer von einem rechts neben der Fahrbahn verlaufenden Radweg in die Fahrbahn ein, um sogleich nach links abzubiegen, unterliegt dieser Vorgang sowohl den Regeln des Einfahrens gem. § 10 Satz 1 StVO als auch denjenigen des Abbiegens gem. § 9 Abs. 1 und 2 StVO.

2. Kommt es in einem solchen Fall zum Zusammenstoß mit einem auf dieser Fahrbahn geradeausfahrenden Pkw, kann das grobe Mitverschulden des Radfahrers gem. §§ 9 StVG, 254 BGB so weit überwiegen, dass die einfache Betriebsgefahr des Pkw dahinter vollständig zurücktritt.

 

Verfahrensgang

LG Saarbrücken (Urteil vom 21.02.2013; Aktenzeichen 8 O 32/12)

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des LG Saarbrücken vom 21.2.2013 (Aktenzeichen 8 O 32/12) abgeändert: Die Klage wird insgesamt abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Der am ... 1930 geborene Kläger befuhr am 5.5.2010 gegen 14 Uhr als Radfahrer den am rechten Rand der verlaufenden Radweg von in Richtung Circa 200 m nach dem Ortsausgangsschild von wollte er nach links in einen Feldwirtschaftsweg abbiegen. Bei diesem Abbiegemanöver kreuzte der Kläger die Fahrbahn des auf der von dem Beklagten zu 1 in Richtung geführten Pkw Peugeot 306 Kombi mit dem amtlichen Kennzeichen, dessen Halter der Beklagte zu 2 und der bei der Beklagten zu 3 haftpflichtversichert ist. Bei dem Zusammenstoß mit dem Pkw erlitt der Kläger ein Polytrauma, eine Rippenserienfraktur links 2. bis 11. Rippe, einen Pneumothorax, einen iatrogenen Hämatothorax mit operativer Hämatomausräumung am 6.5.2010, einen subakuten Mediateilinfarkt links fronto-temporal, eine Dilatationstracheotomie am 12.5.2010, eine MRSA-Pneumonie, multiple Prellungen, akutes Nierenversagen, CVVHD vom 09. bis zum 12.5.2010 und eine respiratorische Globalinsuffizienz. Die ersten drei Wochen nach dem Unfall lag er im Koma. Vom 28.05. bis zum 15.7.2010 war er stationär im unterbracht, und vom 09.08. bis zum 1.9.2010 war er stationär in der Reha-Klinik aufgenommen. Dem Kläger entstand ein materieller Schaden von zuletzt unstreitigen 6.000 EUR. Mit Anwaltsschreiben vom 5.10.2011 wurde die Beklagte zu 3 unter Fristsetzung zum 29.10.2011 ohne Erfolg zur Leistung aufgefordert.

Der Kläger hat eine Haftung der Beklagtenseite von 25 v.H. geltend gemacht und behauptet, nach seiner Erinnerung habe er vor bzw. beim Abbiegen ein Handzeichen nach links gegeben. Als er die rechte Fahrspur bereits nahezu verlassen gehabt und sich mit dem hinteren Ende seines Fahrrads etwa in der Fahrbahnmitte im Bereich der weißen, gestrichelten Linie befunden habe, sei er vom Beklagten-Pkw erfasst worden. Die Unfallfolgen bzw. Komplikationen seien für ihn potentiell lebensbedrohlich gewesen. Er sei vor dem Unfall in der Lage gewesen, alleine seinen Haushalt zu versorgen, könne sich jetzt aber nur noch mit einem Stock fortbewegen und sei zu einer Haushaltsführung nur noch zu geringen Teilen in der Lage. Er habe seine Eigenständigkeit verloren und sei in seiner Lebensführung zutiefst beeinträchtigt. Eine bereits zuvor bestehende Dyspnoe im Rahmen der COPD habe sich verschlimmert.

Der Kläger hat beantragt,

1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen,

a) an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen, mindestens jedoch 5.000 EUR, verzinslich zu fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29.10.2011,

b) an den Kläger einen Betrag von 2.179,82 EUR zu zahlen, verzinslich zu fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 30.10.2011,

c) den Kläger von vorgerichtlichen Anwaltskosten seiner Prozessbevollmächtigten i.H.v. 759,22 EUR, verzinslich zu fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit, freizustellen und

2. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger auf Basis einer Quote von 25 % jedweden Schaden zu ersetzen, soweit dieser auf das streitgegenständliche Verkehrsunfallereignis vom 5.5.2010 in Homburg/Saar zurückzuführen ist und soweit Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder Dritte übergegangen sind.

Die Beklagten haben beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie haben behauptet, der Kläger sei ohne Beachtung des rückwärtigen Verkehrs, ohne Handzeichen und ohne anzuhalten einfach nach links über die Landstraße gefahren, als der Pkw etwa 1,5 Fahrzeuglängen hinter dem Radfahrer gewesen sei. Der Kläger sei zuvor weder besonders langsam noch unsicher gefahren und habe auch für den Beklagten zu 1 nicht den Eindruck gemacht, hilfebedürftig oder eingeschränkt verkehrstüchtig zu sein. Der Kläger sei für den Beklagten zu 1 auch nicht als älterer Mensch zu erkennen gewesen. Obwohl der Beklagte zu 1 nicht schneller als 50 km/h gefahren sei und sofort eine Vollbremsung eingeleitet und versucht habe, nach links auszuweichen, sei eine Kollision nicht mehr zu verhindern gewesen.

Das LG hat den Kläger und den Beklagten zu 1 als Partei (Bd. I Bl. 94 f. d.A.) und den Sachverständi...

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