Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur beweisrechtlichen Verwertbarkeit von unter Verstoß gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht gewonnenen Erkenntnisses über die Gesundheit des Versicherungsnehmers

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Zulässigkeit der Erhebung von Gesundheitsdaten ist nicht von Amts wegen zu prüfen.

2. Die Anfechtung eines Versicherungsvertrages nach § 123 BGB wird von § 19 Abs. 1 Nr. 2 AGG erfasst. Sie erfolgt jedoch in keinem Fall "aus Gründen einer Behinderung" sondern wegen einer arglistigen Täuschung.

3. Eine arglistige Täuschung kann für den Abschluss eines Versicherungsvertrages nicht kausal geworden sein, wenn der Versicherer ihn trotz des Vorliegens einer Vorerkrankung mit demselben Inhalt hätte abschließen müssen.

4. Der Begriff der anerkannten Prinzipien risikoadäquater Kalkulation führt für den Versicherer -soweit die vertragsspezifische Gefahrerheblichkeit nicht auf der Hand liegt - zu einer gesteigerten Darlegungs- und Beweislast.

 

Verfahrensgang

LG Saarbrücken (Urteil vom 06.10.2008; Aktenzeichen 14 O 222/07)

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des LG Saarbrücken vom 6.10.2008 (Az. 14 O 222/07) aufgehoben und die Klage abgewiesen.

II. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 115 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

IV. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 51.000 EUR festgesetzt.

V. Die Revision wird zugelassen.

 

Gründe

Die Parteien streiten um Ansprüche aus einem Lebensversicherungsvertrag (Versicherungsschein Nr. 4156234, Bl. 20 d.A.), welchem die "Allgemeinen Bedingungen für die Risikoversicherung" der Beklagten (Bl. 37 d.A.; im Folgenden: AVB) zugrunde lagen.

Die Klägerin ist die Ehefrau des Versicherungsnehmers. Letzterer beantragte unter dem 10.11.2001 den Abschluss einer Risikolebensversicherung (Bl. 17 f. d.A.). Als Bezugsberechtigte bezeichnete er die Klägerin. In der "Gesundheitserklärung der zu versichernden Person" fragte die Beklagte unter Ziff. 1 nach "Krankheiten, Störungen oder Beschwerden (z.B. Herz oder Kreislauf, Atmungs-, Verdauungs-, Harn- oder Geschlechtsorgane, Wirbelsäule, Nerven, Psyche, Blut, Zucker, Fettstoffwechsel, Geschwülste oder sonstige Krankheiten)" in den letzten 10 Jahren. Der Antragsteller kreuzte die Antwort "ja" an und erwähnte eine "Dermatitis atopica" mit dem Zusatz: "seit 25 Jahren, voll arbeitsfähig, keine Folgen". Die Frage unter Ziff. 1 nach ärztlichen Beratungen, Behandlungen oder Operationen in den letzten 10 Jahren beantwortete er ebenfalls mit "ja", benannte als in Anspruch genommenen Arzt seinen Hausarzt, Dr. G. P., und fügte hinzu "2000: Bronchitis" (Bl. 18 d.A.).

Dem Antrag war eine von der Beklagten vorformulierte "Schlusserklärung des Antragstellers und der zu versichernden Person" (Bl. 19 d.A.) beigefügt, in welcher es hieß:

"Mir ist bekannt, dass ich die in diesem Antrag gestellten Fragen nach bestem Wissen richtig und vollständig beantworten und dabei auch von mir für unwesentlich gehaltene Erkrankungen, Störungen oder Beschwerden angeben muss. [...] Ich weiß, dass die C. bei schuldhafter Verletzung dieser Pflichten vom Vertrag zurücktreten bzw. die Leistung verweigern kann. Im Falle einer arglistigen Täuschung kann die C. den Vertrag anfechten.

Ich ermächtige die C., zur Nachprüfung und Verwertung der von mir über meine Gesundheitsverhältnisse gemachten Angaben alle Ärzte, Krankenhäuser und sonstigen Krankenanstalten sowie Pflegeeinrichtungen, bei denen ich in Behandlung oder Pflege war oder sein werde, sowie andere Personenversicherer und Pflegepersonen über meine Gesundheitsverhältnisse bei Vertragsabschluss zu befragen. Dies gilt für die Zeit vor der Antragsannahme und die nächsten drei Jahre [...] nach der Antragsannahme. Die C. darf auch die Ärzte, die die Todesursachen feststellen, die Ärzte die mich im letzten Jahr vor meinem Tode untersuchen oder behandeln werden, sowie Behörden - mit Ausnahme von Sozialversicherungsträgern - über die Todesursachen oder die Krankheiten, die zum Tode geführt haben, befragen.

[...]

Insoweit entbinde ich alle, die hiernach befragt werden, von der Schweigepflicht auch über meinen Tod hinaus."

Am 16.6.2006 verstarb der Versicherungsnehmer infolge eines Unfalls. Die Beklagte übersandte der Klägerin eine vorformulierte Erklärung mit einer Ermächtigung, bei der Krankenkasse des Verstorbenen Behandlungszeiträume, behandelnde Ärzte und Krankenhäuser sowie Arbeitsunfähigkeitszeiten und Diagnosen zu erfragen, und dem Einverständnis der Weitergabe von Untersuchungsergebnissen und Gutachten, welche im Auftrag der Krankenkasse erfolgt seien (Bl. 143 d.A.). In dem Begleitschreiben vom 26.6.2006 (Bl. 145 f. d.A.) wies die Beklagte darauf hin, dass bei der Leistungsprüfung womöglich Kontakt zur Krankenkasse aufzunehmen sei, und bat die Klägerin deshalb, die Erklärung zu unterzeichnen (B...

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