Leitsatz (amtlich)

a) Die Wahrung der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht bezüglich öffentlicher Sachen ist dem privatrechtlichen Tätigkeitsbereich des öffentlichen Sachherrn zuzurechnen.

b) Es besteht weder nach dem privaten Deliktsrecht noch nach dem öffentlichen Baurecht eine generelle Pflicht des Eigentümers, alte Bauwerke an den jeweils geltenden Standard anzupassen.

c) Verzichtet ein Verkehrssicherungspflichtiger bei einem Geländer auf Korrosionsschutz, so muss er durch geeignete Kontrollmaßnahmen sicherstellen, dass bereits der Beginn von Korrosionsschutz sofort entdeckt wird.

 

Verfahrensgang

LG Saarbrücken (Urteil vom 09.03.2005; Aktenzeichen 4 O 142/04)

 

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des LG Saarbrücken vom 9.3.2005 (AZ: 4 O 142/04) wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden der Beklagten auferlegt.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

5. Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 10.000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Parteien streiten um einen Anspruch des - zum Unfallzeitpunkt noch minderjährigen - Klägers gegen die Beklagte auf Schmerzensgeld, nachdem der Kläger vom Dach einer im Eigentum der Beklagten stehenden Garage gestürzt ist.

Der in erster Instanz noch streitige Sachverhalt ist in zweiter Instanz weitgehend unstreitig und stellt sich wie folgt dar:

Am 16.6.2003 befand sich der am11.1986 geborene Kläger zusammen mit mehreren anderen Jugendlichen - u.a. den Zeugen M.M. und J.W. - auf dem Gelände der Grundschule in E. Auf diesem Gelände befand sich auch eine im Eigentum der Beklagten stehende Garage. Diese Garage war mit einem Flachdach versehen, welches von der rückwärtigen Seite aus aufgrund einer Hanglage ebenerdig zu begehen war. Am Ende des Daches befand sich ein Gitter. Dieses Gitter besaß keine seitlichen Verstrebungen und war lediglich am Boden verankert. Hinter dem Gitter endete das Gebäude, welches aufgrund der Hanglage an dieser Stelle eine Höhe von 3,5 m aufwies. Das Flachdach der Garage war mit Kies bedeckt. Die Zeugin M.M. entfernte sich von den anderen Jugendlichen und betrat von der ebenerdigen Seite her das Garagendach. Danach kletterte sie über das Gitter, trat auf die nur wenige cm breite Brüstung, wobei sie sich mit den Händen rückwärts am Gitter festhielt und verkündete, dass sie vom Dach springen wolle. Der Kläger und der Zeuge W. eilten der Zeugin M.M. daraufhin zur Hilfe, um sie von dem Sprung abzuhalten. Sie ergriffen die Zeugin von hinten und versuchten sie wieder zurück über das Geländer zu ziehen. Dabei brach das Geländer plötzlich ab und alle drei stürzten 3,5 m in die Tiefe. Ursache hierfür war, dass die Befestigungsschienen des Gitters, welche sich innerhalb der auf dem Dach befindlichen Kiesschicht befanden, durchgerostet waren. Der Kläger zog sich bei dem Sturz einen Fersenbeinbruch, einen Brustbeinbruch, eine Gehirnerschütterung, eine Platzwunde am Hinterkopf sowie eine Platzwunde am Ellenbogen zu. Aufgrund dieser Verletzungen befand er sich 5 Tage in stationärer Behandlung und war im Anschluss daran 6 Wochen auf einen Rollstuhl angewiesen. Insgesamt war der Kläger unfallbedingt über einen Zeitraum von 2 Monaten zu 100 % arbeitsunfähig.

Der Kläger hat die Ansicht vertreten, die Beklagte hafte für die von ihm erlittenen Verletzungen unter dem Gesichtspunkt der Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht. Die Beklagte habe nämlich die einschlägige DIN 1055 über die horizontale Nutzlast von Geländern nicht eingehalten. Auch ohne Ansehung der Korrosion sei das Geländer als Konstruktion von vornherein ungeeignet gewesen.

Darüber hinaus liege eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht darin, dass die Beklagte auf die Anbringung eines erforderlichen Korrosionsschutzes durch Verzinkung verzichtet habe (wobei unstreitig ist, dass kein Korrosionsschutz vorhanden war).

Weiterhin sei eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht darin zu sehen, dass die Beklagte die Standfestigkeit des Geländers offensichtlich nicht kontrolliert habe.

Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen, mindestens aber 10.000 EUR nebst Zinsen hieraus i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 14.4.2004.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, eine Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht komme schon deshalb nicht in Betracht, weil die streitgegenständliche Gefahrensituation für sie nicht vorhersehbar gewesen sei.

Zudem bestehe ggü. dem Kläger keine Verkehrssicherungspflicht, da er sich unbefugt auf dem Dach aufgehalten habe.

Das Gitter habe zudem nur die Funktion einer optischen Begrenzung gehabt und sei nicht dafür gedacht gewesen, der Belastung durch ein Herüberklettern standzuhalten.

Auch eine Verletzung der Kontrollpflicht liege nicht vor. Denn die Beklagte sei nur zu einer optischen Kontrolle des Gitters verpflichtet gewesen. Diese Aufgabe habe sie durch einen von ihr angestellten H...

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