Leitsatz (amtlich)
Die Verwendung des "Judensterns" unter Ersetzung des Worts "Jude" durch die Wörter "nicht geimpft", "AFD Wähler", "SUV Fahrer" und "Islamophob" in einem öffentlich zugänglichen Facebook-Profil erfüllt als Beitrag zur öffentlich geistigen Auseinandersetzung ohne das Hinzutreten weiterer Umstände nicht den Tatbestand der Volksverhetzung gemäß § 130 Abs. 3 StGB und stellt auch keine Beleidigung der unter nationalsozialistischen Gewaltherrschaft verfolgten Juden dar.
Verfahrensgang
AG Saarbrücken (Entscheidung vom 30.07.2020; Aktenzeichen 126 Cs 205/20) |
Tenor
1. Die (Sprung-)Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Amtsgerichts - Strafrichterin - Saarbrücken vom 30. Juli 2020 wird als unbegründet
v e r w o r f e n.
2. Die Kosten des Revisionsverfahrens und die der Angeklagten in diesem entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Landeskasse.
Von Rechts wegen
Gründe
I.
Das Amtsgericht - Strafrichterin - Saarbrücken hat die Angeklagte mit Urteil vom 30. Juli 2020 vom Vorwurf der Volksverhetzung aus rechtlichen Gründen freigesprochen.
Gegen dieses Urteil hat die Staatsanwaltschaft mit Schreiben vom 31. Juli 2020 - beim Amtsgericht per Telefax eingegangen am selben Tag - Rechtsmittel eingelegt, das sie nach am 18.08.2020 erfolgter Zustellung des Urteils an sie mit am 14.09.2020 beim Amtsgericht eingegangenem Schreiben vom 11. September 2020 zur Revision bestimmt und mit der ausgeführten Rüge der Verletzung materiellen Rechts begründet hat.
Die Generalstaatsanwaltschaft, von der die Revision vertreten wird, hat beantragt, das angefochtene Urteil mit den zugehörigen Feststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Saarbrücken zurückzuverweisen. Der Verteidiger hat die Verwerfung der Revision beantragt.
II.
Die zulässige (Sprung-)Revision, als welche die Staatsanwaltschaft ihr Rechtsmittel innerhalb der Revisionsbegründungsfrist wirksam bestimmt hat (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 335 Rn. 2 ff.), ist unbegründet.
1. Das Amtsgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:
Die ... Jahre alte Angeklagte ist in Teheran geboren. Im jugendlichen Alter floh sie mit ihrer Mutter aus dem Iran. Sie besitzt neben der iranischen auch die deutsche Staatsangehörigkeit. Etwa seit dem Jahr 2015 betätigt sie sich politisch in Deutschland und arbeitet in der Stadtratsfraktion der AfD in .....
Im Oktober 2019 veröffentlichte die Angeklagte von ihrem Wohnort aus auf ihrem Facebook-Profil einen für jedermann sichtbaren, aus einem Text und einem Bild bestehen Beitrag.
Der Text lautete:
"Während einer schlaflosen Nacht sah ich eine Reportage über das grosse Feuer von London.
Hilflos und am Ende ihrer Kräfte zog der wütende Mob durch die Gassen und suchte DEN Schuldigen.
Eine Frau, so wurde erzählt, trug ihre gelben Kücken in ihrer zusammen gefalteten Schürze, oder Rock und versuchte das Wenige was sie hatte, vor dem Feuer zu retten.
In der festen Überzeugung den Verursacher gefunden zu haben, sollen sie ihr die Brüste abgeschnitten und sie bestialisch ermordet haben, hielt man doch die gelben Küken in der Dunkelheit der Nacht für Feuerbälle."
Unter diesem Text postete die Angeklagte ein Bild, auf dem vier Mal der von Juden unter der Herrschaft des Nationalsozialismus zu tragende "Judenstern" abgebildet war, wobei allerdings die damals eingefügte Inschrift "Jude" jeweils durch die folgenden, in gleicher Schriftart dargestellten Wörter ersetzt war: "nicht geimpft", "AFD Wähler", "SUV Fahrer" und "Islamophob".
Die Angeklagte wollte hierdurch darauf aufmerksam machen, dass die Genannten heute genauso ausgegrenzt würden wie die Juden im "Dritten Reich".
Dieser Beitrag wurde entweder bei Facebook oder auf der Webseite der Gruppe "#die-insider" von Nutzern kritisch kommentiert.
2. Rechtlich hat das Amtsgericht die getroffenen Feststellungen im Wesentlichen wie folgt gewürdigt:
Der festgestellte Sachverhalt erfülle den Tatbestand der Volksverhetzung gemäß § 130 Abs. 3 StGB nicht. Zwar habe die Angeklagte durch die Verwendung des "Judensterns", der "eine der letzten Maßnahmen der Nationalsozialisten zur Vorbereitung und vor Beginn der Deportationen" des jüdischen Volkes symbolisiere, unter Ersetzung des Begriffs "Jude" durch die Begriffe "nicht geimpft", "AFD Wähler", "SUV Fahrer" und "Islamophob" einen Vergleich zwischen der gesellschaftlichen Kritik an den zuletzt Genannten und "den Gräueltaten", denen sich das jüdische Volk in der Zeit des Nationalsozialismus ausgesetzt sah, hergestellt, was eine Bagatellisierung von Art, Ausmaß und Folgen der Gewaltmaßnahmen der NS-Zeit und damit eine Verharmlosung einer unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangenen Handlung der in § 6 Abs. 1 VStGB bezeichneten Art i. S. des § 130 Abs. 3 StGB darstelle. Es fehle jedoch an der nach dieser Vorschrift zudem erforderlichen Eignung der Äußerung zur Störung des öffentlichen Friedens. Insoweit sei nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts...