Verfahrensgang

LG Saarbrücken (Entscheidung vom 26.05.2008; Aktenzeichen 2 KLs 3 /08)

 

Tenor

  • 1.

    Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Saarbrücken vom 19. Juni 2008 wird der Beschluss der 2. Strafkammer - Wirtschaftsstrafkammer - des Landgerichts Saarbrücken vom 26. Mai 2008 zu Ziff. II aufgehoben und das Hauptverfahren vor der 2. Strafkammer - Wirtschaftsstrafkammer - des Landgerichts Saarbrücken auch bezüglich der Taten Ziff. 1. bis 48. der Anklage der Staatsanwaltschaft Saarbrücken vom 2. Januar 2008 eröffnet.

  • 2.

    Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Angeklagte.

 

Gründe

I.

Die Staatsanwaltschaft legt dem Angeklagten in ihrer Anklage vom 2. Januar 2008 zur Last,

seit Januar 2000

in Neunkirchen

in 63 Fällen

in 31 Fällen (Zeitraum Januar 2000 - Juli 2002)

als Arbeitgeber Beiträge des Arbeitnehmers zur Sozialversicherung oder zur Bundesanstalt für Arbeit der Einzugsstelle vorenthalten zu haben

in 32 Fällen (Zeitraum seit August 2002)

als Arbeitgeber der Einzugsstelle Beiträge des Arbeitnehmers zur Sozialversicherung einschließlich der Arbeitsförderung, unabhängig davon, ob Arbeitsentgelt gezahlt wird, vorenthalten zu haben.

Mit dem angefochtenen Beschluss ließ die Wirtschaftsstrafkammer die Anklage bezüglich der auf einer konkreten Schadensberechnung beruhenden Taten Ziff. 49. bis 63. zu und lehnte die Zulassung betreffend die Taten Ziff. 1. bis 48. aus tatsächlichen Gründen ab. Zur Begründung führte sie aus, die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Frage der Schätzung von vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträgen sei im Hinblick auf die Frage der zwingend notwendigen Schätzungsgrundlagen nicht eindeutig. Vorliegend stünden nach dem Ergebnis der Ermittlungen weder die Namen der angeblich nicht angemeldeten Arbeitnehmer noch deren Anzahl und Beschäftigungszeiten, noch das zu zahlende Arbeitsentgelt fest, weshalb insbesondere die Tätigkeit von "Geringverdienern" nicht sicher ausgeschlossen werden könne. Die Höhe der dem Sozialversicherungsträger vorenthaltenen Beiträge von 183.826,60 Euro habe die Staatsanwaltschaft allein auf der Grundlage der vom Angeschuldigten erzielten Nettoumsätze und eines Lohnanteils von 2/3 geschätzt.

Dieser Lohnanteil erscheine jedoch keineswegs zwingend. Der Einwand des Angeschuldigten, dass im Abbruchgewerbe von einem wesentlich geringeren Lohnanteil ausgegangen werden müsse, sei durchaus erheblich. Die von dem Hauptzollamt vorgenommene Schätzung halte die Kammer deshalb nicht für aussagekräftig. Die Kammer sehe sich auch nicht veranlasst, im Zwischenverfahren zu dieser Frage eigene Ermittlungen anzustrengen, nachdem sie die Staatsanwaltschaft - ihrer prozessualen Fürsorgepflicht entsprechend - auf ihre Absicht hingewiesen habe, dass Verfahren teilweise nicht zu eröffnen.

Gegen die ihr am 17. Juni 2008 zugestellte Entscheidung hat die Staatsanwaltschaft am 19. Juni 2008 sofortige Beschwerde eingelegt.

II.

Die zulässige sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft (§§ 210 Abs. 2, 311 StPO) führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Zulassung der Anklage, soweit diese abgelehnt wurde, denn die Wirtschaftsstrafkammer hat bei ihrer Entscheidung, das Verfahren nicht zu eröffnen, den Begriff des für die Eröffnung des Hauptverfahrens maßgeblichen hinreichenden Tatverdachts verkannt und der von der Staatsanwaltschaft vorgetragene Sachverhalt und die vorgelegten Beweismittel rechtfertigen die Annahme hinreichenden Tatverdachts.

1.

Gemäß § 203 StPO beschließt das Gericht die Eröffnung des Hauptverfahrens, wenn nach den Ergebnissen des vorbereitenden Verfahrens der Angeschuldigte einer Straftat hinreichend verdächtig erscheint.

a)

Hinreichender Verdacht besteht bei vorläufiger Tatbewertung (BGHSt 23, 304, 306) dann, wenn die Verurteilung des Beschuldigten mit Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 51. A., § 170 Rn. 1; § 203 Rn. 2; Löwe-Rosenberg/ Stuckenberg, StPO, 26. Aufl., § 203 Rn. 9 jeweils m.w.N.). Danach muss zunächst die Wahrscheinlichkeit bestehen, dass eine Straftat vom Angeschuldigten begangen wurde und es muss darüber hinaus auch wahrscheinlich sein, dass mit den Beweismitteln und Erkenntnismöglichkeiten der Hauptverhandlung eine Verurteilung wegen der Straftat möglich ist.

Eine gleichhohe Verurteilungs-Wahrscheinlichkeit wie beim dringenden Tatverdacht i.S. der §§ 112 Abs. 1 S. 1, 126a Abs. 1 StPO wird dabei nicht vorausgesetzt (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., § 203 Rn. 2 m.w.N.). Der unbestimmte Rechtsbegriff "hinreichender Tatverdacht" eröffnet einen nicht unerheblichen Beurteilungsspielraum (vgl. BVerfG NStZ 2002, 606; BGH NJW 70, 1543), zumal es sich um eine Prognoseentscheidung handelt. Der Grundsatz in dubio pro reo gilt dabei jedoch nicht, er kann nur mittelbar eine Rolle spielen (vgl. OLG Bamberg NStZ 1991, 252). Die Aufklärung von Widersprüchen zwischen den Angaben des Angeschuldigten und dem vorhandenen Beweisergebnis darf deshalb der Hauptverhandlung überlassen werden.

b)

Grundlage für die Entscheidung, ob hinreichender Tatverdacht bes...

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