Leitsatz (amtlich)

Die Streitwertfestsetzung im selbständigen Beweisverfahren richtet sich im Grundsatz nach dem vollen mutmaßlichen Hauptsachestreitwert. Will der Antragsteller im Hauptsacheverfahren nicht auf Mängelbeseitigung, sondern - gestützt auf die Mängelhaftung - auf Rückabwicklung eines Kaufvertrags antragen, so ist der Wert dieses Interesses bei der Wertfestsetzung im selbständigen Beweisverfahren maßgeblich.

 

Normenkette

ZPO § 3

 

Verfahrensgang

LG Saarbrücken (Beschluss vom 12.09.2011; Aktenzeichen 4 OH 17/10)

 

Tenor

1. Auf die Beschwerde der Verfahrensbevollmächtigten der Antragsteller wird der Streitwert für das selbständige Beweisverfahren unter Abänderung des Beschlusses der 4. Zivilkammer des LG Saarbrücken vom 12.9.2011 - 4 OH 17/10 - auf 100.000 EUR festgesetzt.

2. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

3. Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 900 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Antragsteller haben die Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens beantragt, um Feuchtigkeitsschäden zu untersuchen, die im Keller und im Wohnzimmer des von ihnen bewohnten Hauses aufgetreten seien. Zugleich sollte der Sachverständige u.a. zur Ursache der Feuchtigkeit und den Kosten der Mängelbeseitigung Feststellungen treffen. Bereits in der Antragsschrift haben die Antragsteller darauf hingewiesen, dass das Verfahren der Vorbereitung einer Klage diene, mit der die Antragsteller die Rückabwicklung des Grundstückskaufvertrages erstreben würden. Der Kaufpreis für das Hausgrundstück belief sich auf 95.000 EUR.

In seinem schriftlichen Gutachten ist der gerichtlich beauftragte Sachverständige zu dem Ergebnis gelangt, dass sich die Kosten der Mängelbeseitigung auf geschätzte 18.900 EUR beliefen.

Mit Beschluss vom 12.9.2011 hat das LG den Gegenstandswert des selbständigen Beweisverfahrens auf 18.900 EUR festgesetzt und hierzu die Auffassung vertreten, dass sich der Gegenstandswert des selbständigen Beweisverfahrens, welches auf Feststellung von Mängeln gerichtet sei, am Beseitigungsaufwand für die Mängel orientiere.

Mit ihrer hiergegen gerichteten, am 15.9.2011 eingegangenen Beschwerde erstreben die Verfahrensbevollmächtigten der Antragsteller in Anlehnung an den Grundstückskaufpreis und mit dem Grundstückserwerb verbundene Nebenkosten eine Wertfestsetzung auf 100.000 EUR. Dieser Sichtweise haben sich die Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin angeschlossen.

Das LG hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache mit Beschluss vom 21.10.2011 dem Saarländischen OLG zur Entscheidung vorgelegt.

II.A. Die zulässige Beschwerde der Verfahrensbevollmächtigten der Antragsteller hat Erfolg. Mit Blick auf die bereits bei Antragstellung formulierte Absicht, mit dem selbständigen Beweisverfahren eine auf Rückabwicklung des Grundstückskaufvertrags gerichtete Klage vorzubereiten, war der Gegenstandswert auf 100.000 EUR festzusetzen.

1. Das LG ist von zutreffenden Rechtsgrundsätzen ausgegangen. Demnach richtet sich der Streitwert des selbständigen Beweisverfahrens nach dem vollen mutmaßlichen Hauptsachestreitwert. Maßgeblich ist hierbei das Interesse des Antragstellers, welches dieser zum Zeitpunkt der Verfahrenseinleitung zum Ausdruck bringt. Jedoch ist das Gericht hinsichtlich der Festsetzung nicht an die Wertangaben des Antragstellers zum Zeitpunkt der Verfahrenseinleitung gebunden. Vielmehr ist dieses Interesse retrospektiv aus objektiver Sicht zu bewerten. Orientiert sich das Interesse des Antragstellers beispielsweise an den Kosten der Mängelbeseitigung, so ist für die Wertfestsetzung nicht die subjektive Einschätzung des Antragstellers von der Höhe der Mängelbeseitigungskosten maßgeblich. Vielmehr kommt es darauf an, wie die Beweisaufnahme die Kosten der Mängelbeseitigung bewertet. Können die behaupteten Mängel im selbständigen Beweisverfahren nicht bewiesen werden, ist die Wertfestsetzung auf einer fiktiven Beurteilung zu treffen: Maßgeblich sind nunmehr die objektiven, "wahren" Kosten einer Mängelbeseitigung, die anfallen würden, wenn die vom Antragsteller zum Zeitpunkt der Verfahrenseinleitung behaupteten Mängel tatsächlich vorgelegen hätten (zu allem: BGH, Beschl. v. 16.9.2004 - III ZB 33/04, NJW 2004, 3488; OLGReport Düsseldorf 2009, 364; OLGReport Rostock 2009, 799; P/G/Gehle, ZPO, 3. Aufl., § 3 Rz. 74; Zöller/Herget, ZPO, 28. Aufl., § 3 Rz. 16; Musielak/Heinrich, ZPO, 8. Aufl., § 3 Rz. 34).

2. Jedoch verstellen diese Rechtsgrundsätze den Blick für die Sachentscheidung im vorliegenden Beschwerdeverfahren: Die Parteien streiten nicht über die Höhe des Mängelbeseitigungsaufwandes. Vielmehr steht im Mittelpunkt der Rechtsanwendung, wie das Interesse eines Antragstellers zu bestimmen ist, wenn sich der unmittelbare Gegenstand der Beweissicherung (im vorliegenden Fall: die Mängelbeseitigung von Feuchtigkeitsschäden) und das mutmaßliche eigentliche Hauptsacheinteresse (im vorliegenden Fall: die Rückabwicklung des Kaufvertrages) nicht decken. Will der Ant...

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