Leitsatz

Die Annahme, dass das Verwendungsverbot des § 393 Abs. 2 AO nicht eingreift, wenn der Steuerpflichtige in einer Selbstanzeige eine allgemeine Straftat offenbart, die er zugleich mit der Steuerhinterziehung begangen hat, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

 

Sachverhalt

Der Beschwerdeführer wurde unter anderem wegen Urkundenfälschung verurteilt. Seine Revision hat der BGH verworfen[1]. Grundlage für die Entscheidungen der Strafgerichte waren auch Erkenntnisse, die die Ermittlungsbehörden durch eine Selbstanzeige des Beschwerdeführers erlangt hatten. Das BVerfG nahm die gegen die Verurteilung gerichtete Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an.

 

Entscheidung

Der Grundsatz, dass niemand gezwungen werden darf, durch eigene Aussage die Voraussetzung für eine strafgerichtliche Verurteilung zu liefern, ist Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts[2]. Durch rechtlich vorgeschriebene Auskunftspflichten kann die Auskunftsperson in die Konfliktsituation geraten, sich entweder selbst einer strafbaren Handlung zu bezichtigen, durch eine Falschaussage gegebenenfalls ein neues Delikt zu begehen oder aber wegen ihres Schweigens Zwangsmitteln ausgesetzt zu werden. Wegen dieser Folgen ist die erzwingbare Auskunftspflicht als Eingriff in die Handlungsfreiheit sowie als Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts des Art. 2 Abs. 1 GG zu beurteilen. Ein Zwang zur Selbstbezichtigung berührt zugleich die Würde des Menschen, dessen Aussage als Mittel gegen ihn selbst verwendet wird. Der verfassungsrechtlich gebotene Schutz vor einer solchen Zwangslage schließt die Rechtmäßigkeit von gesetzlichen Auskunftspflichten aber nicht grundsätzlich aus. Insbesondere ist die steuerrechtliche Auskunftspflicht im Interesse staatlicher Aufgabenerfüllung und gleichmäßiger Erfassung aller Steuerpflichtigen verfassungsrechtlich zulässig[3].

Der BGH hat sich in seinem mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Urteil mit diesem Zwangsmittelverbot auseinandergesetzt. Er hat darauf abgestellt, dass der Grund für das in § 393 Abs. 2 AO normierte Verwendungsverbot in der grundsätzlichen Erzwingbarkeit der steuerrechtlichen Mitwirkungs- und Offenbarungspflichten mit den Zwangsmitteln nach § 328 AO bestehe. Aus der Ausnahme von dieser Erzwingbarkeit in § 393 Abs. 1 Satz 2 und 3 AO folgert er, dass auch das Verwendungsverbot des § 393 Abs. 2 Satz 1 AO seinem Zweck nach eingeschränkt werden müsse. Da der Steuerpflichtige nicht dazu gezwungen werden könne, sich selbst wegen einer von ihm begangenen Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit zu belasten, bedürfe er auch nicht des Verwendungsverbots für offenbarte Tatsachen in Hinblick auf allgemeine Straftaten, die in Tateinheit zum Steuerdelikt begangen wurden.

Diese Auslegung widerspricht nicht der Rechtsprechung des BVerfG zum verfassungsrechtlichen Schutz vor Selbstbelastung. Ein Beweisverwertungsverbot für das Strafverfahren folgt aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht nur im Hinblick auf solche Tatsachen, die auf Grund erzwingbarer Auskunftspflichten offenbart wurden. Nur im Fall einer rechtlich erzwungenen Selbstbezichtigung wird der Einzelne zum Zwecke der Strafverfolgung instrumentalisiert und zum Mittel gegen sich selbst verwendet. Drohen hingegen im Fall der Nichterfüllung einer gesetzlichen Auskunftspflicht keine Zwangsmaßnahmen, lässt sich verfassungsrechtlich aus der gesetzlichen Auskunftspflicht selbst noch kein strafrechtliches Beweisverwertungsverbot herleiten[4].

Die faktische Zwangswirkung einer Selbstanzeige beim Zusammentreffen von Steuer- und Nichtsteuerdelikten führt nicht dazu, dass die Offenlegung eines Allgemeindelikts im Rahmen einer Selbstanzeige aus verfassungsrechtlichen Gründen ein Beweisverwertungsverbot nach sich ziehen müsste. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt nicht vor einer Bestrafung strafbaren Verhaltens, sondern lediglich vor einem rechtlichen Zwang zur Selbstbelastung und einer darauf beruhenden strafrechtlichen Verurteilung. Nur in diesem Fall wird die Würde des Menschen verletzt, wenn dessen erzwungene Aussage als Mittel gegen ihn selbst verwendet wird. Der Steuerpflichtige ist indes zu einer Selbstanzeige nicht gezwungen.

 

Praxishinweis

Die Entscheidung des BVerfG beendet eine intensive Diskussion[5]. Ein Steuerpflichtiger muss künftig in jedem Fall mit einer Strafverfolgung rechnen, wenn er im Rahmen einer Selbstanzeige Nichtsteuerstraftaten offenbart.

 

Link zur Entscheidung

BVerfG-Beschluss vom 15.10.2004, 2 BvR 1316/04

[1] Vgl. BGH-Urteil vom 5.5.2004, 5 StR 548/03, INF 2004, S. 528
[4] Vgl. BVerfG-Beschluss vom 7.7.1995, 2 BvR 1778/94, NStZ 1995, S. 599
[5] Vgl. Joecks, in: Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht, 6. Aufl., München 2005, § 393 Rn. 55

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