Leitsatz

Erklärt der Bevollmächtigte, die Berufungsschrift persönlich am letzten Tag der Frist in den Gerichtsbriefkasten geworfen zu haben, ist er als Zeugen zu vernehmen. Er muss die Möglichkeit erhalten, einen anders lautenden gerichtlichen Eingangsstempel zu widerlegen.

 

Sachverhalt

Das Familiengericht hat durch Urteil v. 29.4.2008, zugestellt am 2.5.2008, den Antragsgegner zur Zahlung Unterhalt und Zugewinnausgleich verurteilt. Mit vom 2.6.2008 datierenden Schriftsatz hat der Antragsgegner gegen das Urteil Berufung eingelegt. Der Schriftsatz trug den Eingangsstempel des OLG vom 3.6.2008.

Nach Hinweis des OLG auf den verspäteten Eingang der Berufungsschrift hat der Anwalt des Antragsgegners erklärt, er habe die Berufungsschrift am Vormittag des 2.6.2008 persönlich in den Gerichtsbriefkasten des OLG eingeworfen, zur Glaubhaftmachung unter anderem seine eidesstattliche Versicherung vorgelegt und vorsorglich hatte er auch die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.

Das OLG hat die Berufung als unzulässig verworfen und das Wiedereinsetzungsgesuch zurückgewiesen, weil die Richtigkeit des gerichtlichen Eingangsstempels nicht widerlegt worden und die eidesstattliche Versicherung als Glaubhaftmachung nicht ausreichend sei: Das OLG habe ermittelt, dass ein dem Gerichtsbriefkasten entnommener Schriftsatz einen Eingangsstempel mit dem Zusatz "Nachtbriefkasten" enthalte, was bei der Berufungsschrift nicht der Fall gewesen sei.

Der BGH argumentiert zugunsten des Anwalts wie folgt: Der auf dem Schriftsatz aufgebrachte Eingangsstempel hat nach § 418 ZPO die Beweiskraft einer öffentlichen Urkunde, es hätte dem Antragsgegner ermöglicht werden müssen, den Beweis zu entkräften, was nicht erfolgt ist.

Das OLG hat weitere angeführte Indizien, z.B. die Mitteilung von der Berufungseinlegung an den gegnerischen Verfahrensbevollmächtigten, als nicht aussagekräftig eingeschätzt und dessen eidesstattliche Versicherung bei der Frage offensichtlich nicht in Betracht gezogen.

Zur Widerlegung des Beweises der Richtigkeit des Eingangsstempels ist der Freibeweis zulässig. Zwar reicht die eidesstattliche Versicherung als Mittel der Glaubhaftmachung i.d.R. nicht aus, um den Nachweis zu erbringen, dass der Schriftsatz entgegen dem Eingangsstempel bereits am Vortag eingegangen ist. Aber an der Form des Beweisantritts darf der Nachweis der Unrichtigkeit nicht scheitern. Fazit: Das OLG hätte in der anwaltlichen Versicherung auch ein Angebot zur Vernhmung des Anwalts als Zeugen sehen und ihn entsprechend vernehmen müssen.

In diesem Fall hat der Anwalt – und sein Mandant – im Ergebnis auch deswegen Glück gehabt, weil die Möglichkeit, dass der Schriftsatz im Zusammenhang mit der übrigen Post aus dem Nachtbriefkasten zunächst versehentlich ungestempelt blieb und erst später den Eingangsstempel für die beim OLG abgegebene Post erhielt, existiert hat und vom Gericht wohl auch nicht ausgeräumt werden konnte.

 

Hinweis

In Fristsachen sollte man nach Möglichkeit den Schriftsatz bei der Geschäftstelle persönlich abgeben und sich über den richtigen Eingangsstempel vergewissern. Wird der Schriftsatz nach Dienstschluss des Gerichts dort eingeworfen, kann dieser zusätzlich vorab gefaxt werden. Beim Vorwurf des verspäteten Eingangs von Frist wahrenden Schriftsätzen und Wiedereinsetzungsanträgen sollte immer Beweis angeboten werden durch Benennung von Zeugen.

 

Link zur Entscheidung

BGH, Beschluss v. 11.11.2009, XII ZB 174/08.

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge