Rn 37

Berufliche Veränderungen, die mit einer Einschränkung oder einem Verlust der Leistungsfähigkeit verbunden sind, führen nicht stets zur Anrechnung fiktiver Einkünfte. Erforderlich ist ein verantwortungsloses, zumindest leichtfertiges Handeln und das Bewusstsein des Pflichtigen, dass sich wegen seines Fehlverhaltens seine Leistungsfähigkeit reduziert oder reduzieren könnte (BGH NJW 03, 3122; FamRZ 00, 815). Zu beachten ist das Regel-Ausnahme-Verhältnis. Regelmäßig ist von den tatsächlichen Einkünften auszugehen. Eine Fiktion erfolgt nur ausnw, wenn sich der Verpflichtete verantwortungslos, zumindest leichtfertig, verhalten hat (BGH FamRZ 89, 159). Die Annahme eines zumindest leichtfertigen Verhaltens erfordert eine genaue Bewertung der Umstände des Einzelfalls (BGH FamRZ 15, 236):

  • bisheriger beruflicher Werdegang des Verpflichteten
  • seine Erfahrungen, Fähigkeiten und Neigungen
  • berechtigte Erwartungen auf langfristige Verbesserung der beruflichen und wirtschaftlichen Situation
  • Ausnutzung der Möglichkeiten der Unterhaltsvorsorge durch Rücklagenbildung oder Kreditaufnahme aufgrund vorübergehender rückläufiger Einkommensentwicklung
  • sonstige wirtschaftliche und persönliche Verhältnisse des Pflichtigen und seiner unterhaltsberechtigten Angehörigen. Es ist grds nicht davon auszugehen, dass ein Arbeitsplatzverlust leichtfertig verursacht ist, wenn ein Unterhaltspflichtiger zu seinem neuen Lebenspartner an einen anderen Wohnort zieht. Auch der Unterhaltspflichtige ist in seiner Lebensgestaltung frei, jedenfalls, wenn keine gesteigerte Erwerbsobliegenheit besteht. Zu beachten sind auch gesundheitliche Beeinträchtigungen des Schuldners, die Berücksichtigung der Arbeits- und Lebenssituation (BGH FamRZ 15, 236).
 

Rn 38

Kasuistik zur Einkommensfiktion bei Arbeitslosigkeit:

  • Der Pflichtige gibt seinen Arbeitsplatz auf, um sich der Unterhaltspflicht zu entziehen.
  • Der Pflichtige kündigt von sich aus das Arbeitsverhältnis wegen Konflikten am Arbeitsplatz (Hamm FamRZ 97, 357; vgl auch Dresd FamRZ 14, 45).
  • Der Pflichtige zerstört bewusst seine wirtschaftliche Existenz, bummelt absichtlich, um den Arbeitsplatz zu verlieren oder verliert den Arbeitsplatz aus sonstigen Gründen leichtfertig (Schlesw NJW 07, 152 [BGH 28.04.2006 - LwZR 10/05]).
  • Der Pflichtige verhält sich am Arbeitsplatz mutwillig oder verantwortungslos und verliert aus diesen Gründen den Arbeitsplatz (Schlesw NJW-RR 07, 152; grundl BGH FamRZ 02, 813).
  • Der Pflichtige verschuldet leichtfertig eine arbeitgeberseitige Kündigung (BGH FamRZ 88, 597).
  • Unterlassen zumutbarer medizinischer Behandlungen zur Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit (Karlsr FamRZ 17, 282).
  • Verletzung der Obliegenheit, wieder einen neuen Arbeitsplatz zu finden (zu Einzelheiten vgl Kleffmann in: Scholz/Kleffmann, Praxishandbuch Familienrecht Teil G Rz 102 und Kleffmann FuR 00, 454; sowie BGH FPR 09, 124; FamRZ 03, 1471; Köln FamRZ 07, 1475). Eine Anrechnung fiktiver Einkünfte kommt jedoch nicht in Betracht, wenn auch bei ausreichenden Bemühungen eine reale Beschäftigungschance nicht bestanden hätte (Celle FamRZ 05, 648; KG FamRZ 03, 1208).
  • IRd Anforderungen an die Erwerbsbemühungen sind im Einzelfall die objektiven Bedingungen für die Erwerbstätigkeit und die subjektiven Merkmale – etwa berufliche Qualifikation, Alter (BGH FamRZ 04, 254) (Pensionierung eines Strahlflugzeugführers mit 41 Jahren) und Gesundheit (BGH FamRZ 86, 244) – von besonderer Bedeutung. Das Anforderungsprofil muss eine hinreichende Aussicht auf Erfolg der Bewerbung bieten. Ein Arbeitsloser muss – bei verschuldeter und unverschuldeter Arbeitslosigkeit – alles Zumutbare unternehmen, um eine Erwerbstätigkeit zu finden (BGH FamRZ 90, 499; Saarbr NJW-RR 05, 1454). Er muss sich laufend intensiv, ernstlich und nachhaltig bewerben. Es reicht nicht aus, sich bei der Arbeitsagentur als arbeitssuchend zu melden. Vielmehr sind private intensive Bemühungen um einen Arbeitsplatz erforderlich, zB Bewerbungen auf Stellenanzeigen in der Zeitung, Aufgabe eigener Stellengesuche, Meldung bei Vermittlungsagenturen etc., soweit auf dem Arbeitsmarkt eine reale Beschäftigungschance besteht (BGH FamRZ 14, 1138; 14, 637; Brdbg NJW 14, 1248). Eine Umschulung ist nicht mehr als ein Indiz, dass der Betreffende jedenfalls von der Agentur für Arbeit nicht zu vermitteln ist (BGH FamRZ 94, 372; Bremen FamRZ 96, 957). Der Umschüler hat sich bereits während der Maßnahme um einen Arbeitsplatz zu bemühen (BGH FamRZ 99, 843; FamRZ 05, 1110; Brdbg FuR 17, 155). Ausländische Erwerbslose müssen ihre Sprachkenntnisse aktiv verbessern (BGH FamRZ 14, 637). Nur 13 Bewerbungen innerhalb von sechs Wochen sind nicht ausreichend (Schlesw ZFE 07, 277).
  • Auch ein Berufsunfähiger, der eine Berufsunfähigkeitsrente bezieht, ist jedenfalls zur Erfüllung von Unterhaltspflichten ggü minderjährigen Kindern grds noch zur Verrichtung zumindest leichter Erwerbstätigkeiten verpflichtet (vgl auch BGH FamRZ 17, 109; KG FF 15, 249; Jena NZFam 15, 836). Die sozialhilferechtliche Erwerbsunfähigkeit ...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge