Rn 11

Das Unionsrecht enthält in Art 49, 54 AEUV (Niederlassungsfreiheit) und Art 56, 62, 54 AEUV (Dienstleistungsfreiheit) Vorgaben, die sich auf das IntGesR auswirken. Die Anwendung des IntGesR darf nicht zu einer ungerechtfertigten Beschränkung der Niederlassungs- oder Dienstleistungsfreiheit führen (eingehend Ulmer/Behrens/Hoffmann Einl B Rz 7 ff, 51; Gebauer/Wiedmann/Weller/Hübner § 23 Rz 2 ff, zur Diskussion über die Niederlassungsfreiheit der GmbH mit gebundenem Vermögen Engel/Haubner DStR 22, 844). Das gleiche gilt für die Warenverkehrsfreiheit (Art 41 AEUV), auf die die zur Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit entwickelten Grundsätze übertragbar sind (Brödermann ZZPInt 99, 267 f). Die in einem Mitgliedstaat der EU gegründeten Gesellschaften müssen innerhalb der EU wie Unionsbürger wirtschaftlich frei handeln dürfen; auf den Ort der Geschäftsführung innerhalb der EU darf es grds nicht ankommen. Beschränkungen der Grundfreiheiten sind nur zulässig, wenn sie ein legitimes mit dem AEUV vereinbares Ziel verfolgen und unionsrechtlich, insb durch zwingende Gründe des Gemeinwohls, gerechtfertigt sind (so zB EuGH Urt v 13.12.05 – C-411/03 Slg 05, I-10805 – Sevic Rz 23; Urt v 13.12.05 – C-446/03 – EuZW 06, 85 – Marks & Spencer Rz 35; umfassend Ulmer/Behrens/Hoffmann Einl B Rz 14 ff).

 

Rn 12

So musste – bis zum BREXIT (s IPR-Anh 1/ROM I Art 1 Rn 3) – eine englische Briefkastengesellschaft mit effektivem Verwaltungssitz in Dänemark bei der Eintragung einer Zweigniederlassung als eine einem Unionsbürger gleichgestellte existente Gesellschaft behandelt werden (EuGH Urt v 9.3.99 – C-212/97 Slg 99, I-1459 – Centros Rz 30; s zB Brödermann ZZPInt 99, 259; Ulmer/Behrens/Hoffmann Einl B Rz 143; Reithmann/Martiny/Hausmann Rz 6.15 ff; Lutter/Bayer/Schmidt Europäisches Unternehmens- und Kapitalmarktrecht § 6 Rz 19–22). Eine in den Niederlanden gegründete, von Deutschland aus geführte Gesellschaft muss in Deutschland als rechts- und parteifähig behandelt werden (EuGH Urt v 5.11.02 C-208/00 Slg 02, I-9919 – Überseering Rz 82; s zB Ulmer/Behrens/Hoffmann Einl B Rz 144; Reithmann/Martiny/Hausmann Rz 6.19 ff; Lutter/Bayer/Schmidt § 6 Rz 23–26; MüKoIPR/Kindler IntGesR Rz 122). Eine englische limited company mit einer einzigen Niederlassung in den Niederlanden war – wiederum bis zum BREXIT (s IPR-Anh 1/ROM I Art 1 Rn 3) – dort nicht niederländischen Kapitalaufbringungsvorschriften unterworfen (EuGH Urt v 30.9.03 – C-167/01 Slg 03, I-10155 – Inspire Art Rz 143; s zB Ulmer/Behrens/Hoffmann Einl B Rz 42; Reithmann/Martiny/Hausmann Rz 6.22 ff; MüKoIPR/Kindler IntGesR Rz 125 ff; Lutter/Bayer/Schmidt § 6 Rz 27–31). Die Eintragung einer Verschmelzung einer deutschen und einer in Luxemburg ansässigen Gesellschaft durch Auflösung ohne Abwicklung der in Luxemburg ansässigen Gesellschaft und Übertragung ihres Vermögens als Ganzes auf die deutsche Gesellschaft darf nicht verweigert werden (EuGH Urt v 13.12.05 – C-411/03 Slg 05, I-10805 – Sevic); ebensowenig der grenzübergreifende Formwechsel einer frz s.a.r.l. in eine deutsche GmbH (KG, Beschl v 21.3.16 – 22 W 64/15, NJW-RR 16, 1007; s oben Rn 10 unter XI.2). Zur übergangsweisen Hereinverschmelzung englischer Gesellschaften nach Deutschland vor dem BREXIT s § 122m UmwG.

 

Rn 13

In allen og Fällen lässt sich die Beschränkung von Grundfreiheiten durch Anknüpfung an das Gründungsrecht und damit einhergehender Anerkennung der Gesellschaft vermeiden. Nach Inspire Art ist nicht nur die Rechts- und Parteifähigkeit einer zugezogenen ausländischen Gesellschaft anzuerkennen, sondern ihr gesamtes Gründungsstatut; eine Angleichung an das Gesellschaftsrecht des Zuzugsstaates kann nicht durch nationale Gesetzgebung vorgeschrieben werden (s Spahlinger/Wegen Rz 466).

 

Rn 14

In der Cartesio-Entscheidung hat der Gerichtshof in Anlehnung an eine ältere Entscheidung von 1988 (EuGH Urt v 27.9.88 – 81/87 Slg 88, 5483 – Daily Mail) und entgegen den Schlussanträgen des Generalanwalts Maduro v 22.5.08 festgestellt, dass ein Mitgliedstaat sowohl die Anknüpfung (›connecting factor‹) bestimmen kann, die eine Gesellschaft aufweisen muss, um als nach seinem innerstaatlichen Recht gegründet angesehen zu werden und damit in den Genuss der Niederlassungsfreiheit gelangen zu können, als auch die Anknüpfung, die für den Erhalt dieser Eigenschaft verlangt wird. Diese Befugnis umfasse die Möglichkeit für diesen Mitgliedstaat, es einer Gesellschaft seines nationalen Rechts nicht zu gestatten, diese Eigenschaft zu behalten, wenn sie sich durch die Verlegung ihres Sitzes in einen anderen Mitgliedstaat dort neu organisieren möchte und damit die Anknüpfung löst, die das nationale Recht des Gründungsstaats vorsehe (EuGH Urt v 16.12.08 – C-210/06 – Cartesio Rz 110; s MüKoIPR/Kindler IntGesR Rz 132 ff; Lutter/Bayer/Schmidt § 6 Rz 37–43). Der Gründungsstaat entscheidet damit über ›Leben und Tod‹ der nach seinem Recht gegründeten Gesellschaft. Diese Befugnis gelte jedoch nicht für den Fall, dass sich die nach seinem Recht gegründete Ges...

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