Zusammenfassung

 

Art 13 HKÜ0 Ungeachtet des Artikels 12 ist das Gericht oder die Verwaltungsbehörde des ersuchten Staates nicht verpflichtet, die Rückgabe des Kindes anzuordnen, wenn die Person, Behörde oder sonstige Stelle, die sich der Rückgabe des Kindes widersetzt, nachweist,

a) dass die Person, Behörde oder sonstige Stelle, der die Sorge für die Person des Kindes zustand, das Sorgerecht zur Zeit des Verbringens oder Zurückhaltens tatsächlich nicht ausgeübt, dem Verbringen oder Zurückhalten zugestimmt oder dieses nachträglich genehmigt hat oder
b) dass die Rückgabe mit der schwerwiegenden Gefahr eines körperlichen oder seelischen Schadens für das Kind verbunden ist oder das Kind auf andere Weise in eine unzumutbare Lage bringt.

Das Gericht oder die Verwaltungsbehörde kann es ferner ablehnen, die Rückgabe des Kindes anzuordnen, wenn festgestellt wird, dass sich das Kind der Rückgabe widersetzt und dass es ein Alter und eine Reife erreicht hat, angesichts deren es angebracht erscheint, seine Meinung zu berücksichtigen. Bei Würdigung der in diesem Artikel genannten Umstände hat das Gericht oder die Verwaltungsbehörde die Auskünfte über die soziale Lage des Kindes zu berücksichtigen, die von der zentralen Behörde oder einer anderen zuständigen Behörde des Staates des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes erteilt worden sind.

 

Rn 1

Vorherige Zustimmung oder nachträgliche Genehmigung der Entführung durch den Sorgeinhaber beseitigen die Widerrechtlichkeit (I lit a). Eine konkludente Zustimmung ist möglich (Stuttg FamRZ 15, 1628). Die Zustimmung ist widerruflich (Hamm NZFam 22, 38 [Schweppe]). Eine nachträgliche Genehmigung, die ebenfalls konkludent erfolgen kann (Ddorf FamRZ 18, 760), muss klar, eindeutig und unbedingt sein (Stuttg FamRZ 12, 238). Sie ist unwiderruflich (Ddorf FamRZ 18, 760).

 

Rn 2

I lit b ist eine eng auszulegende Ausnahmeregelung. Die Gefahr muss konkret, aktuell und durch Tatsachen begründet sein (näher Erb-Klünemann FamRB 18, 327, 328 ff), zB Kriegssituation in Ukraine (Stuttg NJW 22, 3653 zust Anm Erb-Klünemann NZFam 22, 1094), Bindung an die Mutter eines Kleinkinds (Hamm FamRZ 21, 1990, 1993 = IPRax 23, 192 m Aufs Andrae, 172; zu Suizidgefahr Frankf FamRZ 20, 1384); bloße Befürchtungen reichen aber nicht (zu außergewöhnlich schwerwiegender Beeinträchtigung Karlsr FamRZ 15, 1627; Hamm FamRZ 17, 1679 [keine Bindung zu Rückführung Verlangendem]; sehr weitgehend im Hinblick auf das Kindeswohl Hambg FamRZ 15, 64 mit Aufs Hohloch IPRax 16, 248 u abl Anm Fahl NZFam 14, 843). Grds ist es zumutbar, dass der Entführende das Kind bei der Rückkehr begleitet (Erb-Klünemann FamRB 18, 327, 332 f). Auch deutlich ungünstigere wirtschaftliche Bedingungen im Rückführungsland stehen nicht entgegen (Stuttg FamRZ 19, 1543 [LS] Anm Mankowski NZFam 19, 121). Gleichfalls nicht die Corona-Pandemie (Ddorf NZFam 21, 141 krit Anm Mankowski) sowie eine drohende strafrechtliche Verfolgung (Stuttg FamRZ 19, 1543 [LS] Anm Mankowski NZFam 19, 121). Ein Gericht darf die Rückgabe eines Kindes aufgrund von Art 13 lit b nicht verweigern, wenn nachgewiesen ist, dass angemessene Vorkehrungen (insb undertakings, Deuschl NZFam 21, 149, 151; MüKo/Heiderhoff Rz 46 ff) getroffen wurden, um den Schutz des Kindes nach seiner Rückkehr zu gewährleisten (Art 27 III Brüssel IIb-VO). Eine vorläufig vollstreckbare Gerichtsentscheidung des Herkunftsstaates, die den Kindesaufenthalt am Wohnsitz des Entführenden festlegt, steht einer Rückführungsanordnung entgegen (auch wenn sie erst nach der Entführung ergangen ist), da sie das Kind anderenfalls in eine unzumutbare Lage bringen würde (Brandbg NZFam 22, 564 krit Anm Guttenberg [Polen]; Naumbg NZFam 22, 619; Stuttg NZFam 22, 809 [Polen]; MüKo/Heiderhoff Rz 34). Der Entführende hätte jederzeit die Möglichkeit, das Kind nach einer Rückführung wieder zu sich nach Deutschland zu nehmen. Ein solches Hin- und Her-Verbringen des Kindes ist auch durch den präventiven Zweck des HKÜ nicht zu rechtfertigen (Stuttg FamRZ 15, 1631; Hausmann U Rz 221).

 

Rn 3

Bei einem Widersetzen des Kindes (II) sind zu würdigen Alter und Reife des Kindes, seine Fähigkeit, die Tragweite seiner Entscheidung zu erkennen, und eine mögliche Beeinflussung durch den entführenden Elternteil (näher Erb-Klünemann FamRB 18, 327, 334 ff). Als Regel dürfte davon auszugehen sein, dass bei Kindern unter 8 bis 10 Jahren noch nicht von der notwendigen Reife ausgegangen werden kann (vgl Frankf FamRZ 96, 689, 691; Hamm FamRZ 99, 948; Düsseld FamRZ 99, 949; Karlsr FuR 06, 222; Nürnbg FamRZ 07, 1588; Stuttg FamRZ 19, 1543 [LS] Anm Mankowski NZFam 19, 121: 4 und 5 Jahre). Eine starre Altersgrenze ist der Vorschrift allerdings nicht zu entnehmen (BVerfG FamRZ 99, 1053; Frankf NZFam 18, 1000 [Finger]). Das Vorbringen geschieht bei Kindern, deren Alter und Reife eine eigene Wahrnehmung ihrer Verfahrensrechte noch nicht erlaubt, durch einen Verfahrensbeistand nach § 158 FamFG (BGH FamRZ 15, 1011 Anm Hau).

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