Gesetzestext

 

(1) 1Der Eigentümer eines Grundstücks kann Wurzeln eines Baumes oder eines Strauches, die von einem Nachbargrundstück eingedrungen sind, abschneiden und behalten. 2Das Gleiche gilt von herüberragenden Zweigen, wenn der Eigentümer dem Besitzer des Nachbargrundstücks eine angemessene Frist zur Beseitigung bestimmt hat und die Beseitigung nicht innerhalb der Frist erfolgt.

(2) Dem Eigentümer steht dieses Recht nicht zu, wenn die Wurzeln oder die Zweige die Benutzung des Grundstücks nicht beeinträchtigen.

A. Allgemeines.

 

Rn 1

§ 910 konkretisiert die negativen Eigentümerbefugnisse (§ 903 Rn 2). Die Vorschrift gibt dem Beeinträchtigten ein Selbsthilferecht, mit dem er sich gegen Wurzeln und Zweige von Bäumen und Sträuchern, die zwar auf dem Nachbargrundstück stehen, aber in sein Grundstück hineinwachsen bzw herüberragen, zur Wehr setzen kann. Der Sinn und Zweck der Vorschrift besteht darin, nachbarliche Konflikte möglichst ohne die Anrufung staatlicher Gerichte zu lösen.

 

Rn 2

Das Selbsthilferecht schließt den Beseitigungsanspruch des betroffenen Grundstückseigentümers aus § 1004 I 1 nicht aus (BGH NJW 04, 603 [BGH 28.11.2003 - V ZR 99/03]). Beide Regelungen stehen gleichrangig nebeneinander. Der Betroffene ist nicht gehindert, gegen seinen Nachbarn den Beseitigungsanspruch geltend zu machen anstatt zur Selbsthilfe zu greifen.

B. Berechtigter.

 

Rn 3

Neben dem im Gesetz ausdrücklich genannten Eigentümer steht das Selbsthilferecht auch den an dem betroffenen Grundstück dinglich Berechtigten zu, soweit sie aufgrund ihres Rechts eigentumsähnliche Ansprüche haben. Das sind der Nießbraucher (§ 1065), der Dienstbarkeitsberechtigte (§§ 1027, 1090 II) und der Erbbauberechtigte (§ 11 ErbbauRG).

 

Rn 4

Obligatorisch Berechtigte wie Mieter und Pächter dürfen das Selbsthilferecht nicht ausüben; sie können allerdings durch den Berechtigten (Rn 3) zur Ausübung ermächtigt werden.

 

Rn 5

Wohnungseigentümern untereinander steht das Selbsthilferecht nicht zu; sie können jedoch einen Beseitigungsanspruch haben, den sie durch die Anrufung des Wohnungseigentumsgerichts geltend machen können (Ddorf NJW-RR 02, 81 [OLG Düsseldorf 27.06.2001 - 3 Wx 79/01]). Das ist eine Folge des gemeinschaftlichen Bruchteileigentums. Ist den Wohnungseigentümern jedoch ein Sondernutzungsrecht an Gartenflächen eingeräumt, die im gemeinschaftlichen Bruchteilseigentum stehen, und dürfen sie diese Flächen auch äußerlich sichtbar von den anderen Sondernutzungsflächen abgrenzen, steht ihnen das Selbsthilferecht in analoger Anwendung von § 910 zu (KG NZM 05, 745 f [KG Berlin 13.06.2005 - 24 W 115/04]; vgl BGH NJW 07, 3636 [BGH 28.09.2007 - V ZR 276/06]).

C. Tatbestand.

I. Wurzeln.

 

Rn 6

Die Wurzeln müssen in das betroffene Grundstück hinüber gewachsen sein; eine Grenzüberschreitung ist notwendig.

II. Zweige.

 

Rn 7

Auch hinsichtlich der Zweige muss eine Grenzüberschreitung vorliegen; sie müssen also in den Luftraum über dem betroffenen Grundstück herüberragen. Das Selbsthilferecht ist nicht auf Zweige bis zu einer bestimmten Höhe beschränkt, vielmehr dürfen herüberragende Zweige in jeder Höhe abgeschnitten werden.

III. Beseitigungsfrist.

 

Rn 8

Der Berechtigte (Rn 3 f) darf herüberragende Zweige erst dann abschneiden, wenn er zuvor dem Besitzer des Nachbargrundstücks eine angemessene Frist zur Beseitigung bestimmt hat und die Beseitigung nicht innerhalb der Frist erfolgte (I 2). Das Beseitigungsverlangen hat gärtnerisch-botanische Belange zu berücksichtigen. Deshalb darf ein Abschneiden während der Wachstumsperiode oder während der Zeit des Fruchtstandes nicht verlangt werden (MüKo/Brückner Rz 6).

 

Rn 9

Die Dauer der Frist richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Zu berücksichtigen sind sowohl der Aufwand, der für das Abschneiden erforderlich ist, als auch das Interesse des Berechtigten, den Luftraum über dem Grundstück frei von herüberragenden Zweigen zu haben.

 

Rn 10

Die Frist ist dem Besitzer des Nachbargrundstücks zu setzen. Das ist derjenige, der tatsächlich und rechtlich in der Lage ist, dem Beseitigungsverlangen nachzukommen. Somit ist jeder, der das Nachbargrundstück bewirtschaftet, also neben dem Eigentümer auch der Nießbraucher, der Erbbauberechtigte, der Pächter und ggf – je nach vertraglicher Gestaltung – der Mieter Adressat des Verlangens.

 

Rn 11

Keiner vorherigen Fristsetzung bedarf es, wenn der Berechtigte (Rn 3) die auf das Grundstück hinüber gewachsenen Wurzeln abschneiden will. Allerdings kann er nach dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242) verpflichtet sein, den Besitzer des Nachbargrundstücks (Rn 10) von dem bevorstehenden Abschneiden der Wurzeln in Kenntnis zu setzen. Denn diesem obliegt es, nach dem Abschneiden die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um weitere Schäden an dem Baum oder Strauch zu verhindern.

IV. Beeinträchtigung.

 

Rn 12

Nach II besteht das Selbsthilferecht nur, wenn die hinüber gewachsenen Wurzeln und die herüberragenden Zweige die Benutzung des betroffenen Grundstücks beeinträchtigen. Eine mittelbare Beeinträchtigung, zB durch Abfallen von Laub, Nadeln oÄ, reicht aus (BGH WuM 21, 518, 519). Bei der Beurteilung, ob eine Beeinträchtigung vorliegt, ist ein o...

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